„Brückenmenschen der Mitmenschlichkeit“ - Lasst uns zusammenführen was verloren ging!

 

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und gibt in vielen    Richtungen Anlass Rückschau zu halten. In diesem Jahr war erneut zu erkennen, dass in vielen Bereichen, Dinge im Umgang mit Nierenpatienten verloren gingen. Was teils auch die Menschlichkeit und Fürsorge betroffen hat! Es fehlen an allen Ecken Ärzte und Personal, so dass Situationen entstehen, die einfach sprachlos machen. Sprachlos, da alle in den Abläufen nur noch stumm     zuschauen. Hierzu ein Beispiel aus 2023, das ich für mein Vorwort gewählt habe:

 

Über meine Arbeit in der Selbsthilfe erfuhr ich von der Arbeitsweise eines Teammitgliedes einer  medizinischen Einrichtung, die an Rücksichtslosigkeit nicht zu überbieten war. Besagte Person folgt wohl sehr oft eigenen Theorien in den Behandlungsabläufen, die sich nicht immer als kompatibel mit dem Patienten-/Seelenwohl herausstellten. So kam es dazu, dass Patienten z.B. die doppelte Verordnung an Medikationen erhielten. Kollegen wurden schon öfter durch deren Tätigkeiten, die nicht zu den Vorgaben der Einrichtung gehören, unbewusst zu Fehlern verleitet. Was von außen betrachtet, zivilrechtlich wie sozialrechtlich, im Ernstfall sehr brisant werden könnte. Dazu führten verbale Entgleisungen zur Ablehnung der Behandlung auf Patientenseite. Große Sympathie genießt diese Person bei niemandem. Wie ich weiter hörte, ist die Personalie auf Leitungsebene nicht unbekannt, jedoch hat es bisher kaum Konsequenzen gegeben. Man fragt sich, warum hier die Toleranzgrenze so hoch liegt, dass einem Teammitglied gestattet wird, über allen das Damoklesschwert der Justiz schwingen zu lassen, oder sich zumindest der Gefahr von Negativpresse auszusetzen. Denn es könnte dort auch einmal zu einem Unheil bringenden Vorfall kommen. Dann stünden alle in der Verantwortung, an vorderster Front die Entscheidungsträger. Solche Vorfälle sind leider keine Einzelfälle in Deutschland.

 

Nehmen wir jedoch einmal dieses respektlose Beispiel, gerade zur Weihnachtszeit, um im Rückblick genauer auf solche Menschen in unserer Gesellschaft zu schauen. Denn es sind doch gerade diese Menschen, wie dieses dargestellte Teammitglied, die unsere Gesellschaft heute belasten und denen keiner mehr Einhalt gebietet. Oder wo sind hier die Kollegen/Führung, welche, wenn auch nur zum Eigenschutz, gemeinsam eine Grenze ziehen und sagen, bis hierhin und nicht weiter …?! Auch, und vor allem zum Schutz der ihnen vertrauenden Patienten.

 

Sie kennen sicher selbst die Situation: Man steht oder sitzt mit Kollegen auf der Arbeit zusammen und plötzlich geht es los. „Hast Du schon mitbekommen, was sich die Kollegin/der Kollege wieder geleistet hat?“ Und dann beginnt wieder eine mehr oder weniger andachtsvolle Diskussion, bei der schon einige mit den Augen rollen. Nach einer Weile sagt dann ein Teammitglied leicht ermüdet: „Naja, am Ende muss er/sie es halt verantworten“. Sicherlich meint ein solcher Kommentar: „Wechseln wir das Thema und reden über was Schönes“, oder „nun ist aber auch mal gut mit der ins Leere führenden Debatte, wir ändern sie/ihn eh nicht“! Aber genau solche Debatten regen mich heut zu Tage auf! Nein, nein, am Ende muss es nicht jeder selbst für sich verantworten. Wenn wir hier, wie im vorgenannten Beispiel wegschauen und nichts ändern, tragen wir Mitverantwortung! Es muss sich mir doch, gerade wenn ich im Pflegeberuf tätig bin, die Frage aufdrängen, „wie verantworte ich es mir persönlich gegenüber“, wenn ein Patient zu Schaden kommt und ich von den Fehlleistungen wusste …?!

 

Greife ich daher nicht besser nach der Devise: “Wer nicht hören will, muss fühlen“ ein? Dies ist doch ein Klassiker aus der kindlichen Erziehung. Dieses Teammitglied ist im übertragenen Sinn auch wie ein Kleinkind, für das man nicht genug Augen haben kann. Greift man nun hier durch, kann man sagen, es wurde zuvor mehrmals gewarnt! Ob so eine ausgesprochene und hörbare Belehrung diesen Menschen jedoch ändern kann, bleibt mehr als fraglich.

 

Ich spreche hier bewusst auch vom Hören. Hören hilft doch oftmals Gefahren zu vermeiden. Hinhören, sich dann danach richten, bringt doch oft wieder vieles zusammen. Doch möchte sich diese Person, warum auch immer sie mal den Pflegeberuf gewählt hat, durch hinhören wieder auf einen Weg führen lassen, der es nochmals zum vollwertigen Teammitglied werden lässt? Ein Team zu dem hier auch Patienten gehören? Wie kann man, wenn

 

man genau weiß, es lehnen mich im Grunde alle ab, noch mit Freude zum Dienst kommen? Kann ein Mensch wirklich so wenige innerliche Werte besitzen und geringe Ansprüche an sich selbst stellen?!

 

Zur Weihnachtszeit komme ich gerne mit Zitaten aus dem Spirituellen. Mit „Höre, mein Sohn, und neige das Ohr deines Herzens", beginnt die Regel des Heiligen Benedikt für seine Ordensbrüder.  Die Bibel verlässt sich auch lieber auf das Gehör als auf das Auge. Dies tut sie, da sie die Menschen sehr gut kennt. Ihr ist bewusst: „das Gehör ist weniger verführbar als das Auge“. Die Augen kann man vor allem schließen. Die Ohren muss man sich dagegen fest zuhalten oder verstopfen. Doch auch dann kommen Laute an!

 

Doch, verfehlten wohl hier alle hörbaren Worte wie z.B.: „Wir müssen uns austauschen“, „Wir müssen debattieren“, „Wir müssen für die Patienten an einem Strang ziehen“, „Die Meinungen anderer anhören, zulassen und umsetzen“, wohl, wegen Ignoranz beim Empfänger ihre Wirkung. Mit solchen Kollegen gestaltet sich der Arbeitsalltag für alle mühsam. Gerade für die Teammitglieder, die sich mit einem hörenden Herzen, viel Einsatz, das Vertrauen ihrer Patienten immer neu erarbeiten, um ein Fundament guter Zusammenarbeit aufzubauen. Ebenso sich Mühe geben, um den Ruf der Einrichtung nach außen positiv zu gestalten. Von ihnen möchte keiner wegen einem Einzelnem streiten. Aber gar nicht mehr streiten ist noch schlimmer. Denn Resignation, wie bei dem Beispiel, ist doch das aus einer jeden Gesellschaft!

 

Wir wollen nicht zerstritten sein, aber wir müssen wieder für das Gute, für Verbesserungen streitlustiger werden. Nur so wird es gemeinsam gelingen, im Sinne des Patientenwohls etwas voranzubringen. Gerade und besonders in dieser Zeit! „Stellen Sie sich dem Menschen, der vor Ihnen steht und zu ihnen spricht.“ Verlassen Sie hier Ihren antrainierten Tunnelblick! So gelingt es, mit diesem Menschen mitzufühlen, obwohl Sie ihn eigentlich persönlich überhaupt nicht kennen. Doch von seinem Schicksal hören Sie ja in Ihrer Pflegearbeit und möchten ihn vor zusätzlichem Schaden sicher bewahren. Darum hat man doch mal diesen Beruf, zu dem viel Herz gehört, gewählt! Wollte man nicht Menschen helfen, sie schützen und in Notlagen unterstützen? Man hört und erfährt es doch täglich, wie vielfältig und besonders, ja wie verletzlich jedes Leben ist.  Oder um es genauer zu sagen: „Wer hier hören will, wird die wunderbare wie bereichernde Erfahrung machen zu fühlen“. Mitfühlen mit den Menschen, die aus der Pflege in ihrer Not Hoffnung wie Halt schöpfen.“ Nach der Devise: „Mut zur Therapie und Vertrauen in die Behandler“!  Werden Sie für diese Menschen zu Brückenmenschen, die in den Abläufen verbinden und nicht jeden ziellos treiben lassen.

 

Es ist eine bittere Erfahrung, wenn man in dem Bereich, wo das eigene Leben von einer guten Pflege abhängig ist und man täglich mit vielen Problemen zu kämpfen hat, auch noch auf eine Pflege trifft, die man mit seiner Anwesenheit irritiert und stört. Wenn man  sozusagen „am eigenem Leib“ zu spüren bekommt, dass man lästig ist, vergrößert sich die Bedrücktheit aufgrund der eigenen Krankheit enorm. Insbesondere, wenn man hier erlebt, dass das Team, das einem in solch einer Situation helfen könnte, wegschaut. Als Patient ist man z.B. während der Dialysetherapie hilflos und auf das Pflegepersonal angewiesen. Man ist ausgeliefert und es wird einem die Selbstbestimmungsgrenze vor Augen geführt. Ein Patient versteht es im genannten Beispiel nicht, wie in solch sensiblen Lebenssituationen, in denen man anderen Menschen gezwungenermaßen viel Vertrauen entgegenbringen muss, dieses fast bedingungslose Vertrauen so mit Füßen getreten werden kann/darf. Und zwar in allen Bereichen. Man selbst würde sich vermutlich für einen solchen Charakterzug, gerade im Pflegebereich, in Grund und Boden schämen … Denn es ist schlicht menschenverachtend!

 

Für meinen Glauben und mich zählt: Gelebte Nächstenliebe und Solidarität. Ich gebe zu, mein Glauben kann Ihnen gleich sein. Aber wahrscheinlich ist Ihnen nicht egal, was das Herz unseres Zusammenlebens ausmacht. Nämlich die uneingeschränkte Würde jedes Menschenlebens zu achten. Insbesondere sollte dies in der Krankenpflege zählen! Gleich welche Rahmenbedingungen heute mit Pflegenotstand und vielem mehr vorherrschen.

 

Hier kommt mir noch zu „Mut und Vertrauen“ ein Satz aus der Kirche in den Kopf: „Besser ist es, auf den Herrn zu vertrauen, als auf Menschen zu bauen“. In Gott kann ich es tragen und ertragen, wenn Mitmenschen und Tonangebende mich enttäuschen.

 

Wir müssen heute alle mehr als früher aufpassen. Aber auch den Mund aufmachen und uns zudem vielseitig einsetzen. Vorbild sein/werden, so gut wir es können, für das, was uns Menschen menschlich macht: Solidarität und Nächstenliebe. Das funktioniert nur, wenn wir an das Gute glauben und dafür eintreten. Nicht naiv und unvorsichtig werden, aber trotz allem mit einem guten Grundvertrauen ans Leben und an unsere Mitmenschen glauben. Wir leben aktuell in einer ungewissen Welt. Das hören und sehen wir täglich. Große Aufgaben liegen vor uns. Ich höre den Menschen in meiner Selbsthilfearbeit aktiv zu. Zeige so, dass ich mich auch wirklich für sie und ihre Probleme interessiere. Sie erleben sich so als Teil unserer Gemeinschaft und stehen nicht im Abseits. So gestaltet sich für mich Nächstenliebe ... Und dies müsste sich dieses Teammitglied aus der medizinischen Einrichtung aus dem Anfangsbeispiel eigentlich verinnerlichen.

 

Zeigen wir gemeinsam solchen Menschen, auch in 2024, was es bedeutet vollwertiges Mitglied in unserer Gesellschaft zu sein, und zwar von allen Entscheidungsebenen aus.  Wenn wir nicht mit dem Kleinen beginnen, bei uns selbst, bei unseren Nachbarn, Kollegen und ebenso bei den Unbekannten, dann schaffen wir das Große nicht mehr. Zeigen wir wieder mehr Mitmenschlichkeit und schließen solche Menschen so lange aus, bis sie uns durch Taten zeigen, sie möchten wieder vollwertig dazugehören! Dann werden wir versuchen, langsam wieder Mut und Vertrauen in sie zu setzen. Werden wir zu Brückenmenschen die Mitmenschlichkeit, durch Verantwortung wieder so modern machen, dass sie zahlreich nachgeahmt wird!

 

Hierzu benötigen wir eine Gemeinschaft, die uns verbindet. Das geht jedoch nur im Vertrauen in die gute Absicht und die Kräfte der anderen. Lasst uns so alles wieder

zusammenführen, was in allen Bereichen verloren geht. Das ist und bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe von uns allen und in Gott behütet! Nicht nur in dieser besinnlichen Zeit, sondern an jedem Tag des Jahres!

 

„Fürchte Dich/Euch nicht“ ist ein Satz, der sich durch die ganze Bibel zieht.

 

„An Weihnachten lehrt uns das Kind von Bethlehem in seiner Bescheidenheit den wahren Sinngehalt unserer Existenz wiederzuentdecken; es lehrt uns, „friedlich, besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben“ (Tit 2, 12). Das Kind versichert uns den Triumph der Liebe, die über den Hass des Lebens und über den Tod siegt.

 

„Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1, 14). In dieser außergewöhnlichen Nacht wird das ewige Wort, der „Fürst des Friedens“ (Jes 9, 5), in der armseligen und kalten Höhle von Bethlehem geboren.

 

„Fürchtet euch nicht“, ruft der Engel den Hirten zu, „heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2, 11). Wie die namenlosen glücklichen Hirten eilen auch wir hinzu, um dem zu begegnen, der den Lauf der Geschichte verändert hat.

 

„Im Sohn der Jungfrau, der, „in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt“ (Lk 2, 12), erkennen wir und beten an „das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6, 41.51), den Erlöser, der auf die Erde gekommen ist, um der Welt das Leben zu geben ...“

 

Und der Engel sprach fürchtet Euch nicht … ! Werden Sie in 2024 zu Brückenmenschen der Mitmenschlichkeit die versuchen wieder zusammenzuführen, was mehr und mehr in dieser Zeit verloren geht.

 

Herzlichen Dank an alle die mich in diesem Jahr vielfältig in meiner Arbeit der Selbsthilfe sowie privat unterstützt haben. Ich freue mich schon auf eine erneute Zusammenarbeit und viele Begegnungen im neuen Jahr.

 

Ich wünsche Ihnen allen frohe Weihnachten und ein gesundes wie erfolgreiches sowie friedliches Jahr 2024!

 

Ihr

 

Martin G. Müller

Spektrum Dialyse

 

 * Zitate aus dem Wort zum Sontag und einer Predikt von Papst Johannes Paul II