Ein hörendes Herz

Lassen Sie Ihr Licht zu Ihren Mitmenschen strahlen …

 

Mit dem Ende der Kanzlerschaft Merkels ging eine lange Ära zu Ende. Gesellschaftlich enden auch gerade viele Ären. Denker mit Herz und Aktivismus, die Vorbilder waren, gehen vieler Orts verloren. Unterschiedslos wird im Strom geschwommen. Es fehlen an allen Stellen Charaktere, die beherzt anpacken, Missstände aufzeigen und nicht wegschauen, obwohl sie wissen, sie werden Benachteiligung/Ablehnung durch ihr Tun erfahren. Diese Menschen werden heute als Störenfriede, die Betrieb und Abläufe behindern, bezeichnet. Man sieht sie lieber gehen als kommen. Mit dem Verlust dieser Menschen geht auch mehr und mehr die gesellschaftliche Grundordnung verloren. Fehlentwicklungen werden nun gerne nachgiebig akzeptiert. Ein „hörendes Herz“ wie sich der junge König Salomo von Gott einst wünschte, besitzen heute nur noch wenige. Und die die es besitzen, zählen als Stänkerer. Jedoch wie anders könnte sich alles gestalten, wenn die Menschen, Regierenden und Mächtigen ein „hörendes Herz“ hätten?

 

Der Bereich der Medizin erlebt ebenso den Verlust von Vollblut-Medizinern, die sich im Charakter und Erscheinungsbild von der Masse absetzten. Hier hat sich ein vollkommener Wandel vollzogen. Vor nicht allzu langer Zeit erlebte man noch, trotz engem Zeitplan, Ärzte, die mit Präsenz, Herz und Menschlichkeit bei ihren Patienten anwesend waren. Diese auch bewusst fern vom Station/Praxisbetrieb bemerkten. In diesem menschenfreundlichen Umfeld fühlte sich der Patient nicht nur wohl, sondern seine Gesundung machte auch schnellere Fortschritte. Die Ärzte sind in der Erinnerung des Patienten noch Jahre später vorhanden. Heute herrscht zwischen Arzt und dem Krankenlager eine Sterilität und Distanz, bei der Patient die Namen der Ärzte schon auf dem Heimweg teils vergessen hat. Die Frage, ob es der Antrieb des Arztes zum Medizinstudium war, mit seinem Vorgehen in der Anonymität zu enden, bleibt offen. Bei der Arbeit am Fließband bleibt man meist auch anonym. Ein hörendes/mitfühlendes Herz ist auf alle Fälle immer seltener im Medizinalltag geworden. Den Ärztetyp mit Pioniergeist und spürbarem Interesse bemerkt man kaum noch. Es könnte den Betrieb und die Abläufe behindern. Besser nicht gegen den Strom schwimmen (oder umgangssprachlich: „mit Arsch in der Hose“ Fehlentwicklungen aufzeigen.“).

 

In der Pflege zeichnet sich ein ähnliches Bild. Dabei möchte ich nicht auf den Pflegenotstand chronische Unterfinanzierung, oder gar die Coronakrise abzielen. Nein ich argumentiere auf der menschlichen Ebene.  Auch hier fehlen Originale in der Pflege, die sich von der Masse mit Rückgrat abheben. Die, die mit einem hörenden Herzen zum Dienst kommen und die Empathie und Erfahrung mitbringen, um zu erkennen, wie sie ihren Teil dazu beitragen können, die aktuelle Not vor sich zu lindern. Diese Teammitglieder lassen keine Patienten aufgeregt oder verängstigt im Zimmer zurück. Ebenso wenig lassen sie sich keine Maulkörbe verpassen. Die Masse lästert gerne gegen solche Kollegen*innen, die mit Empathie zwischen Wohl und Unwohl des Patienten unterscheiden. Der Schwarm hat die Einstellung, mit dem Strom zu schwimmen und unter dem Radar zu bleiben. Diese Ichbezogenheit und Unkollegialität ist neben der ungerechten Entlohnung, den unsozialen Arbeitszeiten und der fehlenden Wertschätzung vermutlich auch ein Grund für die Unattraktivität des Pflegeberufes. So verlassen Herzensmenschen lieber den Beruf, als sich aufreiben zu lassen. Als Folge davon, ist der Patient dabei immer öfter auf sich selbst gestellt. Bei Hilfsbedürftigkeit bittet er untertänigst um Unterstützung. Dies tut er bei Menschen, die den Pflegeberuf vermutlich ursprünglich gewählt haben, um Menschen/Patienten, genau in diesen hilflosen und handlungsunfähigen Situationen beizustehen.

 

Es geht mir nicht darum die vorgenannten Berufsgruppen zu diskreditieren, sondern zu charakterisieren, dass es an Struktur, Gestaltung, Mitdenken und Durchsetzungskraft fehlt. Menschen, die zum Wohle anderer unnachgiebig sind. Einst hatten diese Menschen eine Vorbildfunktion. Heute zählen sie in der Gruppe als Belastung/Störenfriede. Warum?! Da sie mit ihrem Handeln die Versäumnisse und das Scheitern der Herde aufzeigen.

 

In der Selbsthilfe zeigt sich ein ähnliches Bild. Aktuell erlebt die Selbsthilfe vor Ort eine sehr schwierige Zeit. Die sozialen Medien führen zu starkem Mitgliederverlust. Man muss hier neue Wege suchen, um beides zu verbinden. Zum Beispiel, in dem der Verein vor Ort mit Hilfe der sozialen Medien auch Abseits von Treffen erlebbar wird und durch digitale Angebote Aufmerksamkeit und Interesse generiert. Dies geht nur mit einer starken Gemeinschaft, Netzwerken sowie Menschen mit einem hörenden Herzen. Die Zeit der Patriarchen, an denen keiner mit Ideen vorbei kam und der Rhetorik im Angriffsmodus sollte der Vergangenheit angehören. Es braucht Menschen/Typen mit Weitsicht und der Fähigkeit, zu vereinen und zum Mitmachen zu motivieren. Hier erkennt man aktuell viele Samenkörner, die es wert sind, ihr Wachstum zu fördern. Man kann nur hoffen, dass sie in ihrem Streben, nicht von der Herde niedergedrückt werden, wie das zuvor leider nur allzu oft passiert ist. Denn ihre Arbeit, die sie leisten, trägt zu einer Lebensverbesserung der Schwächsten in der Gesellschaft bei. Das wird, gerade in der aktuellen Zeit, dringend benötigt. Hierzu braucht es zudem Unterstützer, die sich beispielsweise mit ihrer Krankheitsgeschichte so gläsern darstellen, dass die Scheu der Anonymität in den sozialen Medien verloren geht und der Antrieb entsteht, in die Gruppe vor Ort mit ihren hilfreichen Netzwerken zu gehen.

 

Nur im Miteinander können sich diese gesellschaftlichen Fehlentwicklungen in allen Bereichen wieder bessern. Nur wenn die Gruppe zusammenwirkt, können sich Arbeitsbedingungen so zum Positiven entwickeln, dass man mit Freude zum Dienst auch im Ehrenamt geht. Diese Wende im Denken und das Wiedererlernen von Zusammenhalt, benötigt viel Zeit sowie Fingerspitzengefühl. Wir brauchen wieder richtige Vorbilder die mit ihrer Art motivieren und andere aktivieren. Und sei es bloß beim Mitdenken.  

 

Ich blickte jetzt in die Bereiche und Abläufe des Gesundheitswesens, die ich fast täglich als Patient vor Augen habe. Aber die „Typen“ wie ich sie nenne, fehlen nicht nur hier, sondern auch in der Kirche, im spirituellen Umfeld, der Politik, aber auch z.B. bei Deutschlands liebstem Kind, dem Fußball. Oder wo findet man heute noch Charakteren wie einen Mario Basler, Stefan Effenberg, Lothar Mathäus, Paul Breitner und Otto Rehagel? Jemand der etwas klar darstellte, wo man denkt, er hat recht! Keine Querdenker sondern Menschen, die mit Herz und Schnauze dabei sind.

 

Am Weihnachtsbaum meines Lebens haben in diesem Jahr zwei derjenigen Menschen, die ich hier vermisse, für immer ihren Platz verlassen müssen. Einer davon war mein langjähriger Freund Thomas Lehn sowie Freundin Monika Centmayer.

 

Thomas Lehn war ein außergewöhnlicher Mensch der ebenso wie Monika Centmaye ein hörendes Herz für alle besaß. Ich kannte Thomas über 40 Jahre, 20 Jahre davon arbeiteten wir eng zusammen. Er war über 50 Jahre an der Dialyse und Vorbild für viele Menschen. So hat er sich mit seinem Leben und seinem Wirken in die Herzen seiner Mitmenschen hineingearbeitet und eingepflanzt. Mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit, hat er das Leben vieler Menschen verbessert. Das merkte man auch an den unzähligen Reaktionen zu seinem Tod. Die Menschen waren im Herzen tief erschüttert, weil sie ihn, der sich mit seinem hörenden Herzen bei ihnen eingegraben hat, für immer verloren haben. Er fehlt ihnen und hinterlässt eine Leere, die keiner mehr füllen kann.

 

Monika Centmayer war ein ähnlicher Mensch, die auch ein hörendes Herz besaß und sich damit auch bei vielen unvergessen in den Herzen verewigt hat. Damit unterschied sie sich wie Thomas Lehn, deutlich von den Menschen, die Konsumenten der Spaßgesellschaft sind, aber am Ende mit leerem Herzen zurückbleiben. Monika und Thomas stellten ihre Interessen nicht in den Vordergrund, sondern sie gaben vielen Menschen nicht nur Raum in Ihrem Leben, sondern schenkten ihnen Zeit. Es war ihnen eine innige Freude mit Begeisterung zu helfen und zu unterstützen. Es erfüllte ihre Herzen!

 

Wie schaffe ich jetzt den Wechsel von diesen Menschen und Charakteren, die nicht wegschauten, halfen und sich aktiv gegen Unrecht und für Verbesserung einsetzten, zur Weihnachtszeit?

 

Ich glaube Jesus war auch ein Mensch, der sich damals mit seinem Tun in die Herzen vieler ganz tief hineingearbeitet und -gepflanzt hat. Weil er ein guter Mensch war, der für andere da war, der sich für andere sogar aufgeopfert hat. Seinem Vorbild folgen viele, die mit dem Herzen bei den Menschen sind. So auch meine Freunde. Johannes der Täufer verkündete einst, „das längst einer da ist, der durch Gottes Liebe zu uns kommt und für uns da ist.“ „Freut Euch dem Herrn, denn er ist nahe“, sagt Paulus. Wir werden das heil sehen, das Gott uns sendet, wenn es vor uns in der Krippe liegt. Diese Begegnung mit diesem Heiland macht unser Leben besser, macht es schöner, macht es heil. So kommt uns selbst die Freude, die in Gott steckt, näher. Er kann in uns ewige Freude sein. Sein Sohn kann Hilfe sein, aus der inneren Vereinsamung herauszufinden. Er bietet die Möglichkeit auf vielfältige Weise täglich an. Ebenso wie es Menschen wie Thomas Lehn und Monika Centmayer mit ihren bescheidenen Möglichkeiten taten. Ich hebe beide nicht auf die Ebene Jesus. Jedoch diese Menschentypen sind es, die ich meine, die heute an allen Stellen fehlen. Die ein hörendes Herz in christlicher/spiritueller Lebensgestaltung besitzen und vielfältig einfache Hilfe anbieten und Menschen unterstützen.

 

Die Liturgie zum dritten Adventsonntag lautete: „Mache unser Herz bereit, für das Geschenk, der Erlösung. Damit Weihnachten für uns alle ein Tag der Freude und Zuversicht werde.“

 

Wenn ich so auf mein eigenes Leben blicke, frage ich mich, wo bist DU eigentlich ein Mensch, der das Leben anderer schöner macht? Heil macht? Bist Du ein Mensch, dessen Liebe sich auch in die Herzen anderer Menschen eingräbt und etwas bewirkt …?

 

Das Kind in der Krippe ist ein Symbol der Liebe zu den Menschen, was alle im Herzen bis heute verbindet. Bilden Sie mit Ihren Mitmenschen eine Gemeinschaft die Ziele erreichen kann und schwimmen auch mal gegen den Strom. Perfektionieren Sie nicht die Kunst unglücklich zu sein und so lange in der Suppe zu rühren, bis Sie ein Haar darin finden. Haben Sie keine Angst sich für die gute Sache einzusetzen. Helfen Sie die Zerrissenheit in der Gesellschaft zu einen! Eventuell treffen Sie so im neuen Jahr auf ein hörendes Herz oder werden selbst zu einem. Ich würde es Ihnen wünschen.

 

„Und der Engel sprach zu den Hirten; „fürchtet Euch nicht …!“

 

„Ich kann und muss nicht alles tun – und schon gar nicht allein. Seht auf! Erhebt eure Häupter. Gott kommt. Ich vertraue den alten Worten: Denn das Volk das im Finsteren wandelt sieht ein Licht, ein helles Licht. Und über denen im dunklen Land wird es hell.“

 

(Pastorin Ilka Sobottke)

 

Ich wünsche Ihnen allen, trotz der aktuellen Lage, eine schöne wie besinnliche Weihnachtszeit und ein gesundes wie erfolgreiches neues Jahr 2022. Lassen Sie Ihr Licht zu Ihren Mitmenschen hin im neuen Jahr strahlen.

 

Ihr Martin G. Müller

Spektrum Dialyse