Ein Mensch bin ich gewesen, jetzt ist alles vorüber.Ich habe gute und schlechte Zeiten hinter mir. ZumEnde lebte ich ein unnatürliches Leben. Ich habe nundie Grenze, zum Leben, das keiner kenntüberschritten. Ich freue mich darauf zu unseremVater zu gehen. Da lebe ich nun wieder, wie esfür Menschen vorgesehen wurde.
(Indianisches Sprichwort)
Das kostbarste Vermächtnis eines Menschen ist die Spur, die seine Liebe in unseren Herzen zurückgelassen hat.
(Vinzenz Erath)
Am 24.10.2020 ist meine langjährige Freundin und Dialysekollegin Martine Stuhlsatz, im alter von 58 Jahren verstorben.
Als mich die Nachricht erreichte, brachte die Trauer, viele Erinnerungen, an unseren gemeinsamen Lebensweg hervor. Besonders die Fröhlichkeit dieses lebensbejahenden Menschen war sofort präsent. Betrat sie das Dialysezentrum, hörte man zu allen ihr herzliches „Hallo“ über den Flur. Es beinhaltete eine solche Lebensfreude, dass ich dies bis heute im Ohr besitze.
Ich lernte Martine 1994 kennen. Ich erblickte eine kleine quirlige Frau, die die Treppe hoch stürmte. Ich verfolgte sie bis zum Bett und sagte Hallo und stellte mich vor. Wir hatten gleich einen guten Draht zueinander. In Kürze entwickelte sich ein festes Begrüßungsritual. Sie sagte „Hallo Maddin“ und ich „Halle Martiin“. So klangen unsere Namen verbal verwandter. Dieses Ritual hatte über alle Jahre bestand.
In der Folge entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis. So telefonierten wir nicht nur, sondern trafen uns auch zu gemeinsamen Unternehmungen. Dabei lernte ich ihren Partner und damals noch kleine Tochter kennen. Später ihre Schwester und Freundinnen. Ebenso lernte sie ein Teil meiner Familie kennen.
Einmal lud sie mich nach St. Nikolaus, in der Nähe ihres Wohnortes, zu einem Weiherfest ein. Nun ist der Ort weltweit bei vielen Kindern bekannt, doch ich war nie zuvor in dieser Ecke. Dank ihrer präzisen Wegbeschreibung, fuhr ich drei mal unbemerkt durch den Ort und mehrere Male am Weiher vorbei. Da wir noch kein Handy hatten, wartete sie ewig mit der Familie auf mich. In der Folge war es ein Thema der Neckerei, wenn wir uns wieder irgendwo trafen, wo sie den Weg erklärte.
Sie liebte es sich mit Freunden zu treffen, Feste und Konzerte zu besuchen sowie in den Urlaub zu fahren. Davon berichtete sie im Anschluss immer sehr leidenschaftlich. Das war auch ihr Antrieb, mit Patienten und Personal zusammen eine Art Stammtisch ins Leben zu rufen. Die Teilnehmer hatten hierbei immer wieder schöne und lustige Abende, die in Erinnerung bleiben.
Für ihre Mitpatienten hatte sie immer ein offenes Ohr. Beobachtete sie etwas oder man stellte eine Frage, stand sie mit Rat und Tat aus ihrer gelebten Erfahrung zur Verfügung. Unvergessen bleiben ihre Niesattacken, die an die Trompeten von Jericho erinnerten. War man hier zufällig im Zimmer, sang man innerlich Halleluja vor Schreck.
Als unser langjähriger Nephrologe seine Praxis übergab, bemerkten wir schnell, wie das gewohnte Familiäre, mehr und mehr abgeschafft wurde. Es entwickelte sich bei uns, so wie aktiven Patienten, ein großer Unmut. Alle sahen die Zukunft unserer Dialysefamilie in Gefahr. Sie wurde aktiv. Ich war für das Schriftliche verantwortlich. Im Anschluss sammelten wir Unterschriften bei den Patienten. Hiermit wendeten wir uns an den neuen Anbieter. So erhielten wir Gelegenheit unsere Bedenken, zu äußern. Am Termin nahmen sie, Joachim † und ich, die eine Art Patientensprecher bildeten teil. Am Ende kämpften wir vergebens für den Erhalt unserer zweiten familiären Heimat. Die Menschen und Menschlichkeit in dieser Praxis gab uns allen, in so vielen belastenden Situationen, über Jahrzehnte, gegenseitig Halt, Mut und Kraft. Die Entziehung erbitterte uns alle sehr.
Bei Feierlichkeiten, zum Beispiel der Verabschiedung unserer fast drei Jahrzehnten langen Pflegedienstleitung Herr Barth oder Kardiologen Dr. Schilz, war sie gleich mit der Idee zur Stelle, für diese, bei den Mitpatienten zu sammeln, um so im Namen aller, danke zu sagen. Solche Vorhaben, waren von gemeinsamen Ausflügen zum Einkauf und Essen begleitet. Sie war eine aktive Denkerin, die eine große Mitmenschlichkeit vorlebte. Wenn man Martine an seiner Seite hatte, war man im Leben nicht alleine.
Sie war immer wie eine kleine zerstreute hektische Biene. Lag sie im Dialysebett, viel immer alles vom Tisch wie aus dem Bett. Ihr Bettnachbar, unser Freund Jörg, fing dann immer laut an, die Dinge zu zählen, die den Boden erreichten. Sie war halt unsere kleine stürmische Martine. „Unsere Martine“, so nannten sie alle liebevoll. Sie war für jeden Spaß zu haben und ihre Liebe zu uns, spürte man tief im Herzen.
Zu Ostern 2017 hatte Sie medizinische Probleme. Sie musste klinisch behandelt werden. Nach diesem Aufenthalt war sie verändert. Die gewohnte Lebensfreude war sehr gehemmt. Bei einem weiteren Klinikaufenthalt 2018 dann eine schockierende Diagnose. In der Folge begann ihr Leben, langsam Wesenslos zu werden und ihre Selbstständigkeit wich.
Mitte 2019 konnten wir noch einmal dank Jörg und seiner Frau, bei mir zu Hause, ein paar schöne Stunden gemeinsam als Freunde verbringen. Im Anschluss berichtete sie noch ausführlich davon.
Lange konnten wir sie auf ihrem Weg, wegen Corona, nicht mehr begleiten. Sie die sich immer kümmerte, musste nun, ihren Weg alleine gehen. An der Dialyse, wo so lange ihre Heimat war, wurde sie sehr liebevoll betreut. Es war emotional für alle sehr schwer, sich von ihr mehr und mehr verabschieden zu müssen. Sie erduldete ihre Krankheit mit sehr viel Stärke.
Wir werden „unsere Martine“ immer als einen lebensfrohen Menschen, der sich aktiv einsetzte, in uns tragen.
Mach es gut „Martiine“ ich werde Dich sehr vermissen und nie vergessen! Ich bin stolz und dankbar für die Zeit unseres gemeinsamen Lebensweges. Du hinterlässt nicht nur in mir viele wundervolle Erinnerungen. „So wie Du warst bleibst Du hier!“
Ihrer Familie bin ich von Herzen dankbar, dass ich durch Mitteilungen in Gedanken bis zum Schluss mit an ihrer Seite sein durfte.
Mein aufrichtiges Mitgefühl und Beileid gilt ihrer Familie in dieser schweren Zeit.
Martin G. Müller