40 Jahre Dialyse - es "Müllert" immer noch - Erst bekamen sie ihn nicht groß und jetzt nicht klein!


Heimdialyse 1979. Meine Mutter führte die Behandlung durch.
Heimdialyse 1979. Meine Mutter führte die Behandlung durch.

Beitrag vom 27.01.2019

 

Am 27.03.2019 begehe ich mein 40ig jähriges Dialysejubiläum. Viele Kollegen in ähnlicher Situation verfassen dem Anlass, in großer Mühe ein Buch. Jeder der Schreiber, der sich die Mühe macht, investiert viel Herzblut. Doch leider ist noch keines dieser Werke, auch bei gutem Marketing, in der Bestsellerliste erschienen oder erreicht hohe Verkaufszahlen.

 

Die Analyse hierfür ist einfach. In Deutschland gibt es derzeit ca. 80.000 Dialysepatienten. Hiervon sind ca. 80 % alte- und multimorbide Patienten, die kaum noch Lesen. Sie erfassen auch die Thematik im Umfang nicht. Der Rest der Patienten schlüsselt sich in Kinder sowie Erwachsene zwischen 18 und 60 Jahre auf. Es bleibt so nur eine sehr kleine Zielgruppe.  In der gesunden Bevölkerung hat man zum Thema Dialyse kaum ein Bezug. Hier nennt man die Dialyse auch gerne mal "Analys" oder "Dynalys".

 

Auch renommierte Professoren kommen mit ihren Werken nicht groß raus, da nur ein begrenztes Fachpublikum existiert.

 

Dies Wissen führte dazu, von einem Buchprojekt abstand zunehmen. Warum was fertigen, was kaum jemand kauft oder liest. Aufarbeiten möchte ich diese 40 Jahre dennoch.  Dies tue ich jedoch in der Form eines Blogs. Der Name lautet "40 Jahre Dialyse".

 

Ich freue mich auf die zahlreichen Geschichten und Personen, die mir beim Schreiben des Blogs begegnen werden. Auch die Erinnerung an die Entwicklung der Technik über die Jahre wird sicher spannend.

 

So können Sie im Blog mein Leben von Beginn meiner Erkrankung, die Entwicklung der Technik sowie der Ärzte über die Jahre und meinen persönlichen Wertegang, bis heute verfolgen. Ich werde versuchen die Beiträge kurz zu halten.

 

Ich würde mich über Ihr Interesse an meinem Blog ab ca. 01.02.2019 sehr freuen!


Der Anfang

1975 Beginn meiner Erkrankung
1975 Beginn meiner Erkrankung

Beitrag vom 02.02.2019

 

1977 im Alter von fünf Jahren waren meine Eltern so wie Familie der festen Meinung, ich wäre an der Kinderkrankheit Mumps erkrankt. Ich war, obwohl man immer sehr um mein Wohlergehen bekümmert war, oft sehr krank. Ich kämpfte mit unzähligen Erkältungen, die sich immer zu handfesten Anginas entwickelten. Der Kinderarzt verordneten mir hiergegen wiederholt Penicillinsaft.

 

Meine Mutter versuchte verzweifelt mein Immunsystem zu stärken. Sie bereitete mir daher täglich die leckersten Fruchtsäfte. Mein Vater kaufte hierzu einen sehr teueren Entsafter, der zu dieser Zeit in Haushalten nicht üblich war.  So erhielt ich täglich einen Fruchtcocktail (heute Smoothie). In diese Fruchtsäfte rührte meine Mutter zur Stärkung noch ein Eigelb sowie Traubenzucker ein. Bis heute habe ich den leckeren Geschmack noch in Erinnerung.

 

Leider zeigten die Vitaminbomben nicht die gewünschte Wirkung. Wie zu Anfang dargestellt, meinte man in dieser Zeit ich wäre an Mumps erkrankt.

 

Die Vermutung führte dazu, dass meine Patentante Lilo aktiv wurde und mein Gesicht mit Watte, die zuvor in warmes Öl getaucht wurde, belegte. Aber auch nach Tagen ging die Schwellung nicht zurück. So ging meine Mutter, da der Kinderarzt in Urlaub war, mit mir zum Hausarzt Dr. Schwinn).

 

Er Untersuchte mich, konnte jedoch nicht viel Feststellen und schickte mich wieder nach Hause. Überm Rausgehen aus dem Sprechzimmer fragte der Arzt meine Mutter, ob sie denke, dass ich Urin lassen könnte? Meine Mutter konnte es nicht sagen, hielt mich aber an es zu versuchen. Der Urin hatte dabei so im Topf geschäumt, dass der Hausarzt mich sofort, in die örtliche Kinderklinik Kohlhof, in Neunkirchen Saar, überwiesen hat.

 

Wir gingen noch nach Hause, meine Mutter packte eine Tasche und wir fuhren mit dem Taxi in die Kinderklinik. Ich weiß noch, dass ich nicht ins Krankenhaus wollte. Ich hatte Angst und weinte.

 

Nach 15 Minuten Fahrt erreichten wir die Klinik.

 

Lesen Sie im nächsten Beitrag, wie ich meinen ersten Klinikaufenthalt erlebte.


In der Kinderklinik Kohlhof

Kinderklinik Kohlhof Saar
Kinderklinik Kohlhof Saar

Es war Februar 1977, als wir in der Kinderklinik mit dem Taxi eintrafen. Wir gingen im Haupteingang eine Treppe hoch. Links in der Anmeldung begrüßte uns Schwester Ruth. Schwester Ruth war aus heutiger Sicht eine Schwester der guten alten Zeit. Sie hatte einen hellblauen Kittel an, am Kragen eine Brosche mit dem Zeichen des roten Kreuzes und sie war die einzige Schwester, die ein Häubchen auf dem Kopf trug. Sie regelte mit meiner Mutter die Aufnahmeformalitäten.

 

Dann mussten wir auf den Arzt im Flur warten. Für mich als Kind war dabei der in die Wand eingelassene Essensaufzug faszinierend. Denn immer wenn das Licht leuchtete, kam eine Schwester und holte Nahrungsmittel aus der Klappe. Dann kam Oberarzt Dr. Althaus, um mich zu untersuchen. Er hörte mich ab, klopfte mit dem Hammer meine Gelenke und schaute mir mit dem Stirnreflektor und dem Spekulum, in den Mund, Nase und Ohren. Das war auch soweit für mich in Ordnung, da er dies auch spielerisch mit mir durchführte. Erst als er mir Blut abnehmen wollte, fing ich an, mich unter Schreien zu wehren.

 

Die Ergebnisse der Blutuntersuchung zeigten eine deutliche Funktionsstörung meiner Nieren. Es folgte an der Uniklinik Homburg am 20.05.1977 eine offene Nierenbiopsie. Das Ergebnis zeigte eine "mesangial-proliferative Glomerulonephitis". In Rücksprache meiner behandelnden Ärzte  mit Prof. Staub der Uniklinik Mainz erfolgte nach einer Studie, der Behandlungsversuch mit Endoxan (Chemotherapie) und Kortison im Zeitraum 13.06.1977 bis Mitte August 1977. Meine Eltern wurden über Genveränderungen infolge der Therapie informiert. Eine alternative Therapie war zu jener Zeit nicht bekannt. Jede Behandlung war experimentell. Ernährt wurde ich eiweis-/sowie vitaminreich. Bei Erkältungen wurde ich mit hoch dosierten Antibiotika behandelt.

 

Bei einem Punkt blieb sich mein Körper vom ersten Arztbrief bis heute treu. Er war und blieb häufig therapieresistent.   

 

Mein Klinikaufenthalt dauerte vom 23.02. bis 28.07.1977 an. So war ich mit fünf Jahren, 155 Tage am Stück in der Kinderklinik. Dort feierte man mit mir mein Geburtstag im März, Ostern im April sowie alle weiteren Feiertage.  Ich durfte über all die Zeit nicht nach Hause. Die Familie sah ich nur, wenn sie mich in der Klinik besuchten. Der einzige Ausgang, den ich zusammen mit meinen Eltern hatte, war der Besuch eines nahegelegen Weihers sowie Lokals im Rollstuhl.

 

Es war damals eine Leistung aller, die mich kannten und pflegten, dass es mir nicht langweilig wurde oder ich beharrlich die Therapie verweigerte. Dazu ob ich mich unter der Therapie unwohl fühlte, fehlt mir jede Erinnerung.

 

Meine Lieblingsschwestern waren damals Schwester Änne und Schwester Irma. Ebenfalls zwei Schwestern der alten Schule und noch mit Kriegserfahrung. Des weiteren gab es noch meinen Schwarm Schwester Silvia.  Wegen Ihr hörte ich rund um die Uhr auf dem Schalplattenspieler das Lied von "Christian Anders - Silvia". Im Text, den ich lauthals mitgesungen habe, hieß es: Sylvia", sag' ich nachts in allen Träumen. Keinen Tag möcht' ich mit ihr versäumen. Im Büro ist sie in allen Räumen. Sylvia, Sylvia, bitte komm, komm zu mir. Sylvia läßt mein Herz vor Glück vibrieren, manchmal auch vor Schmerz sogar erfrieren. Sylvia darf ich niemals mehr verlieren. Und ich ruf: "Sylvia, Sylvia, Sylvia, Sylvia, laß mich bitte, bitte nie allein. Denn Du weißt, ich hab' nur Dich. Du bist mein Sonnenschein ..."

 

Aus heutiger Sicht, war ich mit 5 Jahren wohl schwer verliebt! :-)

 

Meine Lieblingsärztin war Frau Dr. Plattner. Auch sie hatte mich über die Zeit lieb gewonnen. Zum Abschied schenkte Sie mir einen Teddybären von Steiff mit Namen "Toddel".  Er begleitet mich bis heute als Talisman bei meinen Klinikaufenthalten. Wurde ich operiert, wurde auch er operiert. So trägt er, so wie ich, heute auch viele Narben. Es ist ein Mahnzeichen vieler be-/und überstandener Kämpfe in 40 Jahre.

Das waren Erinnerungen an meinen aller ersten Klinikaufenthalt. Im nächsten Beitrag fahren meine Eltern mit mir nach Bad Brückenau zur Kur


Eine Kur beim Rübenerich - Privatklinik Dr. Erich von Weckbecker

Als ich im Juli 1977 entlassen wurde, waren im Anschluss regelmäßige ambulante Kontrollen in der Kinderklinik notwendig. Zu jener Zeit versuchten meine Eltern alles, um mit alternativer Medizin eine Regeneration meines Gesundheitszustandes herbeizuführen.

 

Dabei erinnere ich mich an einen Heilpraktiker, der mir für viel Geld Wannenbäder mit echten Fichtennadeln verordnete. Einziger Erfolg, es war ein schönes Spielbad für mich. Heute vermute ich, dass Duft und Wärme, durchblutungsfördernd wirken sollten. Mein Vater kaufte später, für teuer Geld, die Nadeln zur heimischen Anwendung in einem Reformhaus. Zudem musste ich Brennnesseltee trinken sowie Pampelmusen und viel Eiweiß essen. Hier gab es viel Putenfleisch, Pudding und Joghurt für mich. Alles esse ich bis heute kaum noch.

 

Ein anderer Heilpraktiker, den die Eltern mit mir aufsuchten, war auf Augendiagnose spezialisiert. Nach seiner Diagnose erklärte er meinen Eltern, dass er mir nicht mehr helfen könne. Die Nierenerkrankung sei zu weit vorgeschritten. Es würde nur unnötige Kosten verursachen, die keine Hilfe oder Stabilität herbeiführte. Er verwies an die Schulmedizin in meinem Fall.

 

Meine Eltern waren jedoch sehr verzweifelt und versuchten alles um die Gesundheit ihres Kindes zu stabilisieren. In ihnen herrschte die Angst, dass ich an der Erkrankung versterben könnte. Ein Nachbar war einige Jahre zuvor an ähnlicher Nierenerkrankung verstorben.

 

Über meine Patentante erhielten meine Eltern Ende 1978 Kontakt zu einer Familie, deren Kind auch nierenkrank war. Dessen Gesundheitszustand verbesserte sich wohl durch eine Behandlung in einer privaten Naturheilklinik in Bad Brückenau.  Das Mädchen musste in dieser Klinik Heilfasten. Zudem erhielt sie Maßnahmen wie Bäder, Güsse, heiße Auflagen, Sauna und Massage sowie tägliche Darmspülungen, für die sie zuvor Bittersalz trinken musste. Des Weiteren wurde sie mit Narturheilpräparaten behandelt. Infolge besserte sich ihr Zustand so, dass sie zu jener Zeit, wieder ein normales Leben führen konnte. Für meine Eltern war diese Nachricht wie ein Strohalm, an den man sich mit viel Hoffnung, auf den gleichen Erfolg bei mir, klammerte. Doch in der Klinik aufgenommen zu werden, war nicht einfach. Man musste sich mit dem Krankheitsbild bewerben. Mein Vater bewarb mich so zur Aufnahme in der Klinik. Der Arzt musste Entscheiden, ob er eine Hoffnung sah, mir helfen zu können. Die Rückantwort der Klinik war positiv.    So sind meine Eltern am 02.02.1979 mit mir nach Bad Brückenau in die Privatklinik Dr. Erich von Weckbecker (Spitzname Rübenerich, weil er alles selbst anbaute), zur Kur gereist.

 

Die Krankenkasse hatte dieses Vorhaben finanziell nicht unterstützt, sodass meine Eltern die Kosten selbst tragen mussten. Das viel Ihnen zu dieser Zeit schwer. Meine Mutter war 28, mein Vater 34 Jahre alt. Also eine Lebensphase wo man gerade im Aufbau des Lebens steht. Zudem musste ein Haus abgezahlt werden und meine Krankheit verursachte zahlreiche Zusatzkosten. Zu der Zeit konnte man kein Vermögen ansparen. Mein Großvater mütterlicherseits, stellte daher die finanziellen Mittel für die Kur zur Verfügung.

 

In der Klinik wurde nicht nur ich behandelt, sondern auch meine Mutter. Damit ich alles als Kleinkind mitmachte, musste sie mit gutem Beispiel vorangehen und in den sauren Apfel des Heilfastens und der täglichen Darmspülung, beißen. Auf eine tägliche Darmspülung mit Bittersalztrinken verzichtete man bei mir.

 

Das Heilfasten schlug bei mir fehl. Hier kamen Milch sowie auch frische Gemüsesäfte zum Einsatz. Ich trank es damals als Kind nicht und lehne beides bis heute ab. Es ist eine Erbkrankheit, dass die Männer meiner Familie in dritter Generation keine Milchprodukte sowie Käse essen. Auch Gemüsesäfte verweigern wir hartnäckig. Da ich mich immerzu bei der Aufnahme der Nahrung des Heilfastens übergab, musste ich mit dem Fasten aufhören. Man reichte mir dann täglich eine sehr natürlich belassene Kartoffelsuppe. Aber auch die war so zubereitet und angerichtet, dass ich mich beim Essen verweigerte. Erst als meine Mutter erklärte, wie ich die Suppe gewöhnt bin zu essen, kostete ich ein wenig davon. Jedoch nicht genug, um damit mein Gewicht halten zu können. Meine Mutter ging dann täglich mit mir ins nahe gelegene Café Fassnacht. Hier bestellte ich mir meist Wiener Würstchen mit Senf und Malzbier. Jeden Tag gingen wir so einen Berg am Friedhof entlang (1 km) hinunter und wieder hinauf. Der Sohn des Cafébesitzers war blind. Mit ihm verstand ich mich, obwohl er älter war, auf freundschaftliche Art.

 

Meine arme Mutter steckte in jener Zeit, als ich Wiener und Kuchen gegessen habe, im Heilfasten und musste mir daher immer beim Essen zuschauen. Noch schlimmer für sie muss es gewesen sein, dass sie am Wochenende, wenn mein Vater uns besuchen gekommen ist, für ihn in dessen Pension, Steak mit Zwiebeln und Pilzen gebraten hat, ohne selbst davon essen zu können.   

 

An folgende Anwendungen in der Klinik erinnere ich mich noch bis heute mit Abneigung. Früh morgens 6:30 Uhr wurde man geweckt und mit Weisweinessig abgewaschen der am Körper trocknen musste. Bis heute kann ich kein Weisweinessig riechen oder zum Kochen verwenden! Nach dem Mittagessen gab es dann heiße Kartoffelsäcke auf die Leber. Der Inhalt dieser Säcke war sehr beliebt bei den Patienten, die am Fasten waren und keine feste Nahrung erhielten.

 

Weiter erhielt ich: Fuß und Armbäder, erneut Bäder mit Fichtennadeln sowie Kleie, Molke und Roggen. Teil-/Fußreflexmassagen. An Medikamenten, Herz-Kreislauftropfen, Nierentropfen, Gallen-Lebertropfen, Zink, Kalzium, Kupfer, Pro Symioflor (abwehrstärkend), Strath G-26 (Wohl Kräuterhefe).

 

Doch der erhoffte Erfolg, auf den meine Eltern sowie Familie hofften, blieb aus. Am Ende stand für den Zeitraum 05.02. bis 17.03.1979, eine Rechnung von 2864,95 DM offen. Plus der Kosten für die Pension meines Vaters, den Reisekosten für ihn und mein tägliches Essen außerhalb der Klinik. Das war damals sehr viel Geld für eine junge Familie!

 

Am 17.03.kehrten wir aus Bad Brückenau zurück. Meine Eltern waren sehr entmutigt, da sie nun keine Vorstellung mehr hatten, wie man mir helfen konnte. Der Tod des Nachbarn, der wie erwähnt an ähnlicher Nierenerkrankung verstarb, war bei ihnen sehr präsent.

 

Die Ereignisse begannen sich unmittelbar nach unserer Rückkehr, zu überschlagen. Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide. Am 25.03.1979 musste ich daher notfallmäßig in die Kinderklinik Kohlhof. Auch hier waren die Ärzte ratlos und ich befand mich in akuter Lebensgefahr. Ich bekahm keine Luft, da ich voll Wasser war.

 

Am Morgen des 27.03. kam ein Arzt auf meinen Vater zu und sagte, man hätte wieder alles unter Kontrolle. Eine Viertelstunde später kam der Oberarzt Dr. Althaus zu meinem Vater und sagte, packen Sie alles zusammen, wir verlegen Ihren Sohn jetzt in die Uniklinik Heidelberg. So wurde ich früh morgens notfallmäßig in die Kinderklinik der Universität Heidelberg am 27.03.1979 verlegt. Ich erinnere mich heute noch an diese Fahrt. Dr. Althaus und mein Vater saßen im Krankenwagen (VW Bulli T1) neben mir, ich hörte das Blaulicht und das Dröhnen des Viertakt Motors mit 44 PS. So waren wir nun auf dem Weg nach Heidelberg.

 

Lesen Sie im nächsten Beitrag von der Ankunft und den Abläufen in Heidelberg.


Ich hab meine Nieren in Heidelberg verloren ...

Altes Ultraschallbild von 1981
Altes Ultraschallbild von 1981

Beitrag vom 15.05.2019

 

In der Zeit als wir auf dem Weg nach Heidelberg waren, packte meine Mutter zu Hause Koffer, regelte die wichtigsten Dinge und reiste dann mit meinem Onkel Harald († 18.05.2019) per PKW nach.  

 

Um die Mittagszeit erreichte der Krankenwagen die Kinderklinik der Universität Heidelberg. Ein großes Gebäude. Erste Station war das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ). Hier wurde eine Ultraschalluntersuchung von meinem Herzen, Nieren undBauch erstellt. Ein Ultraschallgerät gab es damals nur im DKFZ, nicht wie heute, in jeder Arztpraxis. Der Ultraschall war damals noch sehr groß und mit dicken Kabeln an einen Rechner mit Magnetbändern verbunden. Die Bildgebung war gegenüber heute sehr eingeschränkt (siehe Bild aus dem Jahre 1981).

 

Nach der Untersuchung brachte mich Dr. Althaus noch zurück zur Kinderklinik und verabschiedete sich dann von uns.

 

Meine Mutter war zwischenzeitlich auf dem Weg in der Ungewissheit, ob ihr Kind noch lebt. Mein Vater war vor Ort, wurde aber immer mit neuen medizinischen Abläufen konfrontiert, die er in der Tragweite noch nicht erfassen konnte. 

Vieles von diesem Tag ist mir bis heute in Erinnerung. Dazu zählt, wie ich erstmalig zur Station H6 gebracht wurde. Der Fahrstuhl war der Rechte, das Zimmer war nach der Eingangstür zur Station Links das erste auf der rechten Seite. Mein Bett befand sich auf der linken Seite an der Glasscheibe. Von da sah man im Vorraum eine Badewanne, ein Wickeltisch sowie eine Toilette. Ich war nun in diesem Zimmer allein mit meinem Vater. Ich hatte riesige Angst. Die Stille sowie die besorgte Miene meines Vaters verringerten diese nicht.

Schwester Antje
Schwester Antje

Nun ging die Tür auf und eine Schwester begrüßte uns herzlich. Sie stellte sich als Schwester Antje vor. Sie informierte meinen Vater, dass Dr. Manz mit ihm reden wollte. Zwischenzeitlich erklärte sie mir, so behutsam wie möglich, dass ich nun im Bett fotografiert werde und der Arzt mich danach am Hals piksen müsse. Das wäre aber nicht schlimm, wenn ich ruhig und tapfer sei. Noch war ich dabei gefasst!

Prof. Brittinger
Prof. Brittinger

Dann wurde ich mit dem Bett in den Flur gefahren. Hier wartete ein Mann, der ziemlich verludert gekleidet war. Er trug eine alte abgetragene Lederjacke, verblasstes Hemd sowie eine alte Jens und hatte einen langen Bart. "Der hat einen Bart wie der Großvater von Heidi" dachte ich. Er begrüßte mich freundlich, machte viele Späße und erklärte mir, dass ich nun geröntgt werde. Was röntgen war, wusste ich nicht, die Info, dass es nicht schmerzhaft ist, war wichtig. Der Mann, der mich hier behandelte, war Prof. Brittinger (der Pionier der deutschen Shuntchirurgie († 2019).

 

Nach dem röntgen, wurde ich in ein Zimmer geschoben. Das lag am Ende des Ganges rechts kurz vor einem Balkon. Hier konnte ich meinen Vater nur durch eine Glasscheibe sehen. Nun kam Schwester Antje auf mich zu und sagte, ich solle jetzt ruhig Atmen sowie stillliegen bleiben. Dabei versuchte Sie mir, eine schwarze Sauerstoffmaske auf die Nase zu drücken. Die Situation trug dazu bei, dass ich bis heute noch Panik bekomme, wenn bei einer Operation, so eine Maske in die Nähe meines Gesichtes kommt. Ich empfand die Situation als sehr bedrohlich und fing an zu schreien und zu heulen. Nun kam auch noch der verlotterte Mann und ging mir an den Hals. Jetzt wurde ich von Schwestern um mein Bett stehend, kräftig festgehalten. Selbst der Kopf wurde festgehalten. Ich kreischte ohne Ende und schaute Hilfe suchend, zwischen all den Menschen, die mich festhielten, mit Tränen in den Augen zu meinem Vater. Heute weiß ich, auch er war an der Stelle verzweifelt. Erst gab es einen Stich und dann ein knacken am Hals, das ich heute noch im Ohr habe. Man schob mir nun einen Schlauch (Shaldon Katheter) in den Hals. Es war eine traumatisierende Situation für mich. Als ich mich nach einer Zeit wieder beruhigt hatte, wurde ich wieder geröntgt und im Anschluss auf mein Zimmer gebracht.

 

Inzwischen war auch meine Mutter angekommen. Ich war so froh sie zu sehen und dachte sie wird mir nun, im Gegensatz zu meinem Vater helfen. Aber wir alle waren mit der Situation und den Entwicklungen an diesem Tag völlig überfordert. Meine Mutter musste  den lebensrettenden Abläufen ebenfalls zustimmen. Aber es war  beruhigend, dass wir zusammen waren.

 

Schwester Antje kam erneut und holte mich mit dem Bett ab. Ich wurde wieder in das Zimmer von zuvor gebracht. Mein Bett wurde neben einen Kasten (Dialysemaschine Dreak Willok), an dem viele Lichter blinkten, geschoben. Dann verband man diesen Kasten, mit dem Schlauch an meinem Hals. Hierbei schrie ich erneut ohne Ende! Ich hatte wieder große Angst, die ich jetzt, 40 Jahre später, beim Schreiben immer noch in mir spüren kann.

 

Nun lag ich  im Bett, wusste  nicht, dass ich hier dialysiert wurde. Nach langer Zeit, es war mittlerweile später Abend, fing ich plötzlich an zu weinen. Ich hatte so unendlich heiß! Ich schrie immer wieder ich verbrenne ... ich verbrenne. Was war passiert? Man hat mir mit der Dialyse viel Wasser entzogen, so spürte ich meine Körpertemperatur wieder. Es kam daher zum Gefühl großer Wärme, weil ich die eigene Temperatur nicht mehr gewöhnt war. Meine erste Dialyse wurde dann auch bald beendet.

 

Man schloss mich von dem Kasten ab, brachte mich zurück auf mein Zimmer und ich bekam erstmals etwas zu Essen sowie zu trinken. Meine Eltern blieben noch, bis ich eingeschlafen war, bei mir.

 

Mein erster Tag in Heidelberg ging so zu Ende.

 

Lesen Sie im nächsten Beitrag, wie ich Heidelberg kennenlerne und die Letzte Ölung erhalte.


Die Letzte Ölung

Alte Kinderklinik.
Alte Kinderklinik.

Beitrag vom 21.06.2019

 

Es begann nun der zweite Tag in Heidelberg. Die erste Dialyse sowie Nacht hatte ich hinter mir.

 

Nachdem ich am Morgen in fremder Umgebung erwachte, hatte ich angst. So weinte ich. Die erste die dies mitbekommen hatte, war Frau Bliesath (Sozialpädagogin). Sie beruhigte mich und erklärte mir, dass meine Eltern bald kommen würden. Sie wären nicht weit (Café Frisch) und würden noch schlafen. Ich könnte, wenn ich wollte, etwas frühstücken.

 

Nun kam auch Schwester Antje ins Zimmer. Sie erklärte mir ganz ruhig, dass ich später wieder an die Maschine, die ich schon vom Vortag kenne, müsste. Das machte mir Heidenangst. Aber sie beruhigte mich schnell. Ich mochte sie, sie war mein erster Vertrauenspunkt in der Fremde. Sie fragte, was ich  zum Frühstück wolle. Bei der Antwort begegneten sich kindlich saarländische Mundart und Baden württembergischem Hochdeutsch. Meine Antwort Brot mit "Sießschmier"! Sie sah mich fragend an, wusste aber nichts damit anzufangen. Ich überlegte und erinnerte mich an meine Oma Maria, die kochte nicht nur "Sießschmier", sondern auch "Latwerch"(Pflaumenmus). Aber auch nun war ihr nicht bewusst, was ich mochte. In Moment meiner gedanklichen Überforderung zu erklären was ich verlangte, sind meine Eltern gekommen. Meine Mutter enträtselte auf nachfrage, dass ich Marmelade meinte. Mein heiß geliebter Orangensaft  wurde leider durch Tee ersetzt.

 

Nach dem Frühstück lernte wir mit Prof. Schärer (†04-2019), Dr. Klare sowie Dr. Manz (†) und Oberarzt Dr. Mehls (heute schon teils Professoren im Ruhestand), sowie Frau Bliesath und Dipl. Psychologin Frau Reichwald viele Mitarbeiter kennen. Ebenso lernte ich noch Schwester Silke und Margret von der Dialyseabteilung sowie die Erzieherin Frau Rohleder und die Lehrerin  Frau Krone kennen. Das Kennenlernen beschäftigte uns sehr.

 

Dann kam wieder meine  Lieblingsschwester  Antje und brachte mich zum Röntgen sowie EKG.

 

Ich erinnere mich bis heute noch an die Röntgenabteilung. Von den 70iger bis Anfang 2000 erkannte ich diese Abteilung von Weitem am beißenden Geruch des Entwicklers der Röntgenbilder. Auf die musste man teils bis 40 Minuten warten.  Die Gerätschaft hat sich bis heute optisch kaum verändert.

 

Das EKG-Gerät wieder hatte die Größe einer Küchenspüle. Es verfügte über viele Knöpfe  und Nadeln. Mir wurden Gummibänder mit Metallscheiben  angelegt. Im Anschluss wurden nasse Tupfer unters Metall gelegt, bevor aufwendig verkabelt wurde. Nadeln begangen zu zittern und mahlten Zacken. Das Gerät produzierte Unmengen von Papier. Dass ich auf dem Papier mein Herzschlag sah, war mir nicht bewusst. Der Papierstapel hatte am Ende die Dicke eines Lexikons. Jede Seite musste vom Arzt gelesen und vermessen werden. Eine digitale Auswertung per PC, wie heute, existierte noch nicht. Über die Jahre lernten wir Kinder durch Neugierde und wiederholter Nachfrage, wie man mit einem EKG-Lineal arbeitet.

 

Auf Station zurück, ging es zur Dialyse. Hier arbeite noch der Techniker,  Herr Schedewie an der Maschine. Als er fertig war, wurde ich wieder über den Schlauch an meinem Hals mit der Maschine verbunden. Im Anschluss musste ich wieder fast 12 Stunden im Bett liegen. Während der Behandlung waren alle Schwestern sowie Dr. Klare und Dr. Manz anwesend. Man hatte mich immer unter genauer Beobachtung. Mir gingen viele kindliche Gedanken durch den Kopf. Dabei dachte ich  an meine Familie zu Hause. Immer wieder erblickte ich andere Kinder, hatte aber , da ich im Bett bleiben musste, noch keinen Kontakt zu ihnen. So vergingen Tage, die in den Abläufen immer gleich waren. Mein Gesundheitszustand besserte sich langsam.

 

In diesen Tagen waren Frau Reichwald und Frau Bliesath die Personen, die mir am liebsten waren. Denn sie waren die Einzigen, die nur zum Reden oder Spielen zu mir kamen. Wenn ich Ärzte oder Schwestern  erblickte, erfolgte immer Unangenehmes.

 

Eines Tages kam der Mann zu mir, der mir zu Beginn den Schlauch in den Hals steckte. Mein Geschrei war daher groß. Meine Eltern und er beruhigten mich. Prof. Brittinger war  doch sehr nett, machte Späße und wollte wissen, mit welcher Hand ich Bilder malte. Ich zeigte es ihm. Er setzte sich neben mich an mein Bett und tastete meinen linken Arm, bei geschlossenen Augen, mit den Fingerspitzen ab. Dabei erstellte er eine Zeichnung auf Papier wie auch auf meinem Arm. So erfolgte zu jener Zeit eine Gefäßdarstellung zur Shuntanlage.

 

Eine Woche später, am 10.04.1979 wurde ich von der Kinderklinik Heidelberg in die südwestdeutsche Rehabilitationsklinik Neckargemünd verlegt. Da angekommen begrüßte mich Prof. Brittinger und begutachtete erneut meinen Arm. Am Folgetag wurde ich operiert. Mein Vater durfte mit zur Operation, sodass ich keine allzugroße Angst hatte.  Prof. Brittinger gab mir einige Spritzen in den Oberarm (Plexusanästhesie) bis ich kein Schmerzempfinden mehr hatte. Das kommentierte ich mit lautem Schreien und Heulen. Während ich operiert wurde redeten und sangen alle im OP mit mir. Nach zwei Stunden war die Operation beendet.

 

Als ich wieder auf dem Zimmer war, verschlechterte sich mein Zustand akut. Bei der Blutkontrolle stellte man einen viel zu hohen Kaliumspiegel fest. Ich musste sofort an die Dialyse. Doch der Katheter am Hals war so verstopft, dass eine Dialysebehandlung unmöglich war. Dr. Metzler entfernte den Katheter und legte einen neuen. Das glückte nicht. Die Dialyse lief erneut nicht. Mir ging es immer schlechter und plötzlich war ich nicht mehr ansprechbar. Prof. Brittinger erklärte meinen Eltern, dass ich  um mein Leben kämpfe. Mein Herz schlug nur noch ganz langsam und unregelmäßig. Mein Kalium war, nach Erzählungen über 9. Ein Pfarrer erteilte mir am Freitag den 13 April 1979 die Letzte Ölung. Man versuchte mit allen Mitteln, mich dialysieren zu können. Dr. Metzler machte daher noch einmal den Versuch, einen neuen Katheter zu legen. Davon bekam ich nichts mehr mit. Das gelang. Ichkonnte so über Stunden dialysiert werden. Je länger ich dialysiert wurde, um so stabiler wurde ich wieder. Ich erwachte wieder aus meiner Bewusstlosigkeit. In der schweren Zeit waren Prof. Brittinger wie Dr. Metzler rund um die Uhr abwechselnd bei mir und meinen Eltern. Dieser Shunt, für den ich beinahe mit dem Leben zahlte, läuft heute, 40 Jahre später, immer noch. Nur ein Shunt in über 40 Jahren ist eine ganz große Besonderheit. Am 23.04.1979 konnte ich wieder stabil zurück in die Kinderklinik verlegt werden.

 

An Erinnerung an diese Zeit nahm ich mit, dass es mir  nie so schlecht erging. Ebenso habe ich  Bilder, an Junge Leute mit vielen Fehlbildungen, im Kopf. Wie ich heute weiß, war damals die hoch Zeit der Conterganjugend. Die wurde in der Klinik behandelt, wie ich heute weiß.

 

Ebenso erinnere ich mich noch an einen Ziegenbock im Garten, an dem Prof. Brittinger neue Shunttechniken entwickelte. Der Ziegenbock lief ihm überall hin nach.

 

Nun befand ich mich in einem großen Krankenwagen (Mercedes Benz 408) auf der Rückfahrt in die Kinderklinik.

 

Lesen Sie im nächsten Beitrag, wie die Station H6 zur Folterkammer wurde,  ich heimlich trank, Oberarzt Dr. Mehls zu einer Respektperson wurde und das Heimdialysetraining begann.


Fliegende Teller in der Folterkammer

Altes Schwesternhaus
Altes Schwesternhaus

Zurück in der Kinderklinik angekommen, musste ich von meinem Vater, der wieder arbeiten musste, Abschied nehmen. Das war nicht leicht! Fortan sahen wir uns nur zu den Wochenenden und hörten uns am Telefon. Meine Mutter wohnte nun, im Schwesternhaus, wo ihr Schwester Elli ein Zimmer gegeben hatte. Dies war günstiger als Café Frisch *.  Prof. Brittinger kam in Abständen vorbei und kontrollierte den Shunt. Ich erholte mich von den Strapazen, wurde dialysiert und wiederkehrend untersucht.

 

Oberarzt Dr. Mehls
Oberarzt Dr. Mehls

Langsam nahm ich die bekannten Klinikabläufe an, war aber kein einfacher  Patient. Schwester Antje, Frau Reichwald (Evelyn) sowie Frau Bliesath (Grete), hatte ich ins Herz geschlossen. Prof. Schärer war lustig und immer sehr an mir interessiert. Er wollte von mir wissen, wie ich verschiedene Abläufe und Medikamente empfand und vertrug. Alle gingen seinerzeit, sehr auf meinen kindlichen Leidenscharm ein. Nur vor Oberarzt Dr. Mehls hatte ich Respekt! Seine Art hatte Kanten, die nicht mit meinem kleinen Dickkopf harmonierten. So lies er sich von mir nicht lenken. Jedoch hat gerade er, mein Leben damit bis heute positiv beeinflusst.

Heidialysezimmer 1979
Heidialysezimmer 1979

Die Wochen vergingen und meine Mutter wie ich, erlernten den Umgang mit meiner Krankheit sowie der Dialysemaschine. Denn es war geplant, dass wir eines Tages die Behandlung zu Hause selbstständig durchführen sollten. Hierzu hatte mein Vater mit meinem Opa Peter (beide Schlossermeister), zu Hause Umbaumaßnahmen begonnen. Es waren ein separater, Wasseranschluss wie Abfluss und Waschbecken für das Dialysezimmer notwendig.

Diätberaterin Elvira Möller 1981
Diätberaterin Elvira Möller 1981

Ein Schreckmoment war, als plötzlich der Blutschlauch in der Blutpumpe des Dialysegerätes platzte. Die Situation war, durch nicht gefederte Blutpumpenköpfe und starrem Material, der damaligen Zeit, keine Seltenheit. Hierauf war man  vorbereitet und hatte es schnell im Griff. Meine Mama und ich, lernten von Diätberaterin Frau Elvira Möller, dass man mein Trinkverhalten sowie meine Ernährung umstellen müsste. So sollte ich täglich nur noch 500 ml trinken  und musste auf Kalium und Salz achten. Wie schlimm der Durst für mich wurde und was ich mir beim Beschaffen von Flüssigkeit einfallen lies, wird noch separates Thema sein. An die ärztlich vorgegebene Trinkmenge, hielt ich mich konsequent nicht! Was für mein Herz und Gesundheit jedoch "sehr belastend" war! Beim Essen hatte ich eigentlich klinisch wie zu Hause keine Probleme.

 

Ich hatte Wunschkost! Dabei kam es erneut anhand der saarländischen Mundart zu Unverständnissen, was ich wünschte. Den ich forderte "Grummbeerkieschelscher"...! Man war ratlos ... Da ich die korrekte Bezeichnung nicht kannte, versuchte ich es mit ähnlichen Speisen zu erklären. So nannte ich "Dibbelabbes" sowie "Schales!"  Man sah mich weiter hilflos an. Als meine Mutter hinzukam, erhoffte man sich von ihr Aufklärung. So erfuhren wir, Grummbeerkieschelscher hießen Reibekuchen in Heidelberg. Ich lernte dabei beiläufig, mich korrekt auszudrücken.

Links Lehrerin Frau Krone, Mitte Kindergärtnerin Frau Rohleder sowie Kinder beim besuch einer Glashütte.
Links Lehrerin Frau Krone, Mitte Kindergärtnerin Frau Rohleder sowie Kinder beim besuch einer Glashütte.

Da ich das Bett wieder verlassen durfte, lernte ich die Kinder auf Station kennen. Susanne Brustgie hatte es mir angetan. Sie war so um 13 Jahre und kümmerte sich intensiv um mich. Sie wurde eine gute Freundin zu mir wie  meiner Familie. Dann lernte ich noch Dieter, Joachim, Gloria, Bianca, Bernd, Yalchin, Mario, Roland, Oskar, Heinz, Claudia und Thomas kennen. Sie alle prägten mich. Wir dialysierten zusammen und Frau Rohleder wie Frau Krone unterhielten uns. So besuchten wir eine Glashütte und machten im Dialysezimmer, aus Quark Käse. Dann besuchten wir wiederkehrend den Spielplatz mit einer alten Straßenbahn, den botanischen Garten sowie den nahe gelegenen Zoo. Evelyn und Ihr Team entwickelten immer neue Ideen, um uns die Zeit in der Klinik, so erheiternd wie möglich zu gestalten. Heylight zu der Zeit war, ein tragbares Fernsehen zu besitzen. Damit konnte man sich ablenken. Meine Eltern ermöglichten mir ein Gerät mit Radio, Kassettenrekorder und TV in einem.

Meiner ganzer Stolz in Heidelberg! Auch dies haben mir meine Eltern ermöglicht!
Meiner ganzer Stolz in Heidelberg! Auch dies haben mir meine Eltern ermöglicht!

Nach 6 Wochen der Shunt-OP kam Dr. Manz mit Schwester Antje und meiner Mutter und erklärten, dass ich bei der nächsten Dialyse mit zwei Nadeln vor Beginn der Behandlung in den Arm gestochen werde. Man zeigte mir die Nadeln, sodass ich mich mit Ihnen anfreunden konnte. Sie waren lang und hatten vorne zwei schwarze abnehmbare Flügel. Sie machten mir Angst. Man erklärte mir, vor dem Stechen, würde man mir etwas geben, damit ich keine Schmerzen  hätte. Dr. Manz spritzte mir etwas unter die Haut (örtliche Betäubung) das brannte. Dann kam Schwester Antje mit den zwei dicken Nadeln und erklärte das tut jetzt nicht sehr weh. Wichtig ist, den Arm still zu halten, sonst blutet es heftig. Sie stach und es war ein Schmerz der mich nur schrien lies! Ich weinte, wie damals als ich den Katheter bekommen hatte. Nur diesmal schaute ich meine Mutter Hilfe suchend an. Nach dem Trauma der Punktion, wurde die Maschine dann, statt über den Katheter am Hals, an den Nadeln angeschlossen. Mit dem Weinen hörte ich relativ schnell wieder auf.

Ich weiß nicht war es Evelyn oder Grete, die mir sagte, wenn mir etwas nicht gefällt, dürfte ich meinem Unmut durch Schreien kundtun. Von dem Zeitpunkt an hörte z.B. jeder, wenn ich punktiert wurde. Die Station H6 klang dann wie eine Folterkammer. Ich schrie und wehrte mich beim Stechen so, dass man mich festhalten musste. Mit dem Verhalten war ich damals einzigartig in der Kinderdialyse!

 

Nach einiger Zeit musste mich dann meine Mutter  punktieren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie traumatisch es für eine Mutter sein muss, wenn sie ihrem schreiendes Kind,  Schmerzen zufügen muss.  Meine Mutter litt sehr darunter, was sie auch bis heute belastet. So was kann man ein lebenlang sicher nicht ausblenden. Ich verstand nicht, dass sie dies tun musste, um mein Leben zu retten.

 

Wie dargestellt, war ich sehr schnell talentiert, Menschen für meine Zwecke zu manipulieren. So kannte ich auch genau die Punkte, mit denen ich meine Mutter verletzen konnte. Das nutzte ich grausam aus. Kam es zur Punktion, beschimpfte, schlug, trat und kratzte ich sie. So sagte ich: "Du bist nicht meine Mutter ", "Verschwinde ich möchte Dich nie mehr sehen",  uvm. Evelyn hatte mit meiner Einzigartigkeit viel zu tun. Ich hatte Wut in mir, da ich alles was passierte, nicht wollte. Statt meine Mutter,  alles verhinderte, fügte sie mir auch noch selbst Schmerzen zu. Sie war so oft in der Rolle meines Feindes. Papa war weit weg und hatte mit der enormen psychischen Belastung wenig Berührungen. Mama kämpfte an allen Fronten und erlebte so viel weitere verletzende Situationen.

 

Eines Tages, als ich wieder so bösartig gegenüber meiner Mutter war, erhielt ich mein Mittagessen. Meine heiß geliebten Wiener Würstchen. Ich nahm den Teller und warf ihn aus Wut nach meiner Mutter. Sie konnte im letzten Moment ausweichen. Das beobachtete Oberarzt Dr. Mehls. Er kam autoritär ins Zimmer, nahm meine Mutter und führte Sie aus dem Zimmer. Kam zurück und sagte in sehr ernstem Ton, dass meine Mutter erst wieder zu mir kommen darf, wenn ich mich bei ihr entschuldige. Zu essen bekahm ich nichts mehr. Er war  der Meinung, wer sein Essen wegwerfe, hat kein Hunger. Nächste Malzeit war das Abendessen.  Ebenso ordnete er an, da ich mich nicht an die eingeschränkte Trinkmenge hielt, dass ich in einem Gitterbett über Tag untergebracht wurde. Ich durfte nur kontrolliert das Bett verlassen. Das wurde von Evelyn für kritisch bewertet. Ihm ist die Bettsituation in Erinnerung geblieben. Noch 2017, als wir Kontakt hatten, bedauerte er diese handhabe von damals! Doch gerade damit beeinflusste er mein Leben positiv. Er zeigte mir Grenzen und so, dass meinem handeln Konsequenzen folgen. Wie hätte er mich sonst vor meinem Gefährdendem handeln beim Trinken Schützen sollen? So habe ich heute mein festes Quantum an Trinkmenge, von dem ich kaum abweiche! Ich bin ihm nicht böse , sondern heute noch dankbar! Bis heute sind mir Ärzte wie er, mit menschlicher Kante, wo ich weiß woran ich bin, die liebsten. Bis ich meine Mutter so sehr vermisste, dass ich mich für den Tellerwurf entschuldigte, dauerte es mehre Tage. Ich war immer ein kleiner Sturkopf!

 

Da ich bei meiner Mutter immer wieder die Punktion verweigerte, musste diese auch mein Vater erlernen. Bei ihm machte ich solchen Zirkus nicht. Zwar schrie und zappelte ich, aber der Arm lag immer still. Ihm traute ich nicht und er war auch  jemand, der mich Konsequenzen spüren lies. Mit ihm traute ich nicht so wie mit meiner Mutter umzugehen.

 

Ende Juli 1979 wurde ich aus der Klinik entlassen. Fortan mussten wir drei Mal die Woche mit dem Taxi ( Mercedes Benz w 115 strich 8) 160 km nach Heidelberg zur Dialyse und Heim fahren. Gabi und Henner Fries fuhren Mama und mich. Das Taxi hatte damals noch 3-mal die Woche Wartezeit von bis zu 14 Stunden. Heute unvorstellbar, dass ein Taxifahrer bis zu 17 Stunden on tour ist. Auch das war eine Belastung für meine Mutter. Gabi und Henner mochte ich sehr. Sie fuhren mich bis zum Renteneintritt im Jahre 2008 zur Dialyse.

 

Lesen Sie im nächsten Beitrag, wie ich eingeschult wurde. Die Heimdialyse zu Hause begann und ich Prof. Dreikorn kennenlernte.

 

* Eine Übernachtung kostete 1979 im Café Frisch 38,00 DM. 35 Übernachtungen waren bis zur Abreise meines Vaters notwendig. Das bedeutete meine Eltern mussten Kosten in Höhe von 1.330 DM aufbringen. Dabei hatten sie noch nichts gegessen. Was ich damit ausdrücken möchte ist, dass meine Krankheit zu dieser Zeit, meine Eltern nicht nur psychisch, sondern auch finanzielle Höchstleistungen abverlangte. Denn man erinnere sich, die private Kur im februat/März 1979 kostete schon 2864,95 DM. In zwei Monaten mussten meine Eltern Kosten von 4.194,95 DM finanzieren.  Es war nicht klar, wie viel zurückerstattet wurde. Meine Eltern, insbesondere meine Mutter, waren so immer sehr sparsam und musste auf vieles verzichten. Mir fehlte es dagegen an nichts ich wurde verwöhnt. Für diesen Kraftakt, bin ich  meinem Eltern bis heute, aus tiefen Herzen  dankbar!


Majestät König Martin von Bildstock!

Beitrag vom 04.08.2019

Team Heidelberg mit meiner Familie in Bildstock
Team Heidelberg mit meiner Familie in Bildstock

Am 31- Juli 1979 wurde ich nach 128 Tagen stationärer Behandlung entlassen. Bis zum 08.08.fuhren wir drei mal die Woche zur Dialyse nach Heidelberg. Dies war für alle Beteiligten sehr anstrengende 18 bis 20 Stunden Tage.

 

Am 08,08. fand eine große Abschiedsparty für mich in der Dialyse statt. Hierzu kamen alle die, die ich in den zurückliegenden Monaten kennengelernt hatte. Es gab Kuchen und ich erhielt viele Geschenke. Von selbst gebastelten Blumen bis hin zu Büchern, Lego und einem Bild, das mich als König Martin zeigte. Man vermittelte mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

Am 10.08.1979 machten wir unter Anleitung von Schwester Antje, Dr. Stehls und Techniker Herrn Walter die erste Heimdialyse.

 

Zu den Behandlungen kam auch unser Hausarzt Herr Dr. Wahl, der im Ernstfall die ärztliche Notfallversorgung sicherstellte. Er wurde von Dr. Stehls über mögliche Komplikationen und deren Behandlungen informiert. Ebenso kam die Dorfkrankenschwester Hilde Winter vom Roten Kreuz. Sie sollte meine Mutter unterstützen und Besorgungen aus der Apotheke usw. tätigen.

 

Am 20.08.1979 wurde ich im Nebenschauplatz der Dialyse, eingeschult. Die Schule machte mir keinen Spaß. Denn ich war durch die Dialyse so müde, dass ich in der Klasse teils eingeschlafen bin. Um den Lehrkörper über meine Situation zu informieren, reisten Evelyn und Isolde aus Heidelberg an. So wurde das Lehrerkollegium von der Diplompsychologin und der Lehrerin der Uniklinik Heidelberg informiert. Diese Informationen wurden von den Lehrern aller Klassen bei Elternabenden an die Eltern weitergegeben. Die erklärten wiederum Ihren Kindern, was mit mir los ist und worauf sie im Umgang mit mir achten müssen. Ich war so in der Schule, besser überwacht als der Präsident der USA. Eine normale Kindheit war dies nicht. Immer wurden die Lehrer gefragt, darf er dies, darf er dass? Hier hielt ein ganzer Ort zusammen. Noch heute, höre ich, wenn ich auf Festen ehemalige Schulfreunde treffe, darfst Du das heute trinken?

 

Da ich immer mit dem Taxi zur Schule und nach Hause gefahren wurde, war ich auch in dem Punkt etwas Besonderes. Eine normale Schulzeit, wie sie andere Kinder hatten, war durch die Krankheit bei mir nicht möglich. Zudem fehlte ich über 50 Tage im ersten Schuljahr.

 

Im Anschluss an die Schule machten wir dreimal die Woche Heimdialyse. Zur Anhängezeit kam Dorfkrankenschwester Hilde. Sie versuchte mich zu beruhigen, sodass ich mich von meiner Mutter, problemlos hab stechen lassen. Mit ihrer Anwesenheit sollte auch verhindert werden, dass meine Mutter von mir, verbal angefeindet wurde. Denn da war ich sehr einfallsreich. Meine Mutter musste nicht nur viel leisten und zurückstecken, sondern von mir auch viele Gemeinheiten ertragen. Oft musste unser Hausarzt während der Sprechstunde oder vom Tennisplatz zur Punktion kommen. Er versuchte alles, damit ich mich von meiner Mutter punktieren lies. So versuchte er es mit Bestechung. Er versprach mir ein Ring Lyoner (Fleischwurst), eine Flasche Kinder Cola sowie "Pattex" (Leim).  Ich schnüffelte an "Pattex" wie am Desinfektionsmittel sehr gerne. Mit ausgetüftelter Bestechung schaffte er es fast immer, dass meine Mama stechen durfte. So tanzten alle nach meiner Pfeife und ich zog Gewinn daraus. Dumm war ich in meiner Leidensphase nicht. Eben Ihre Majestät König Martin von Bildstock! Wie es das Bild aus Heidelberg aufzeigte.

Schulklasse 1979
Schulklasse 1979

Wegen der Dialyse hatte ich viele Fehlzeiten in der Schule. Mein Klassenlehrer Herr Weber, kam daher wöchentlich zum Nachhilfeunterricht. Oft besuchten mich während der Dialysezeit Klassenkameraden, Nachbarskinder und Familie während der Behandlung. Auch unser Pastor Herr Fischer besuchte uns regelmäßig. Sie redeten, spielten mit mir oder lasen mir Geschichten vor. So trugen alle abwechselnd dazu bei, dass die Zeit für mich an der Dialyse schneller verging. Denn die dauerte zwischen 8 und 10 Stunden. Einmal viel während der Behandlung der Strom aus. Meine Mutter musste über Handkurbel die Dialyse beenden. Mein Vater informierte im Anschluss die Stadtwerke über meine Situation.  Er bat darum, frühzeitig über Abschaltungen informiert zu werden. Hier erhielt er die Antwort, dass man erst die Geschäftsleute informieren müsse, da es um finanzielle Verluste ginge. Mein Vater lud den Sachbearbeiter zum Ortstermin. Als er mich und das Blut erblickte, kollabierte er. Noch lange Jahre nach der Heimdialysezeit wurden wir über Abschaltungen informiert.

 

Alle 4 Wochen oder bei Problemen musste ich nach Heidelberg zur Kontrolle. In 1979 war ich ab August noch 8-mal (insgesamt 48 Tage) in Heidelberg stationär. Hier wurde Blut abgenommen, behandelt und mir Blutkonserven verabreicht. Es gab noch kein Erypo. Bei den Klinikaufenthalten wurde ich auch zur Transplantation vorbereitet. Der Stationsarzt Dr. Müller Wiefel leitete und führte die notwendigen Voruntersuchungen durch. Dies wurde in Gebäude 364 (Institut für Pharmazie und molekulare Biotechnologie) vorgenommen.  Parallel wurden auch meine Eltern getestet, ob sie als Lebendspender infrage kamen. Zum Glück kamen sie nicht infrage. Schon als Kind wollte ich keine Lebendspende. Was genau ich mir dabei dachte und warum ich  dies ablehnte, kann ich heute nicht beurteilen.

 

In dieser Vorbereitungszeit belauschte ich unbemerkt ein Gespräch zwischen meinem Vater und Dr. Müller Wiefel. Es ging dabei mit um meine Lebenserwartung. Dr. Müller Wiefel vermutete damals, dass ich so um 13 Jahre alt werden könnte. In der saarländischen Kinderklinik sagte man meinem Vater schon früh, "machen sie noch ein Kind, dass hier wird nichts mehr." Jeder wäre über die Erfahrung schockiert oder ängstlich gewesen. Nicht ich! Mein erster Gedanke war, warum soll ich jetzt noch für die Schule lernen, dass macht kein Sinn. Kindliche Naivität. Ich mochte, wie erwähnt die Schule samt Hausaufgaben nicht. Wo andere Kinder an der Dialyse mit Frau Krone fleißig lernten, simulierte ich, kurz bevor sie zu mir kam, dass es mir nicht gut ging. So musste ich seltener mit ihr lernen. Aber Isolde durchschaute mich. Sie kam oft an mein Bett und meinte, wir lernen mal etwas, das lenkt dich ab. Widerwillig machte ich mit.

Nach Beendigung der Untersuchungen zur Transplantationsvorbereitung lernte ich Prof. Dreikorn kennen. Viele Kinder erzählten mir, sie hätten Angst vor ihm. Beim ersten Gespräch in seinem Büro saß ich im Sessel und äußerte, "dass Du es weist, vor Dir habe ich keine Angst." Damit muss ich etwas ausgelöst haben, was fortan zu einem sehr liebevollen Verhältnis zwischen uns führte. Dazu in weiteren Kapiteln mehr. Bis zum 02.08.1980, bis der Anruf zur Transplantation kam, dialysierten wir zu Hause.

 

Lesen Sie zuvor im nächsten Beitrag " Der Durst - Feuerwasser, Weihwasser und Einbrüche!

 


Feuerwasser - Weihwasser und Einbrüche

Mit allen Wassern gewaschen!

Wie Sie in einem vorherigen Beitrag lesen konnten, musste ich lernen, mich an eine Flüssigkeitszufuhr von täglich nur 500 ml zu gewöhnen. Den Sinn verstand ich oder wollte ihn als Kind nicht verstehen. Der Durst bestimmte meinen Alltag. So war ich im Organisieren von Getränken sehr talentiert. Mit dem Hintergrund landete ich auch zu meinem eigenen Schutz, klinisch hinter Gitter. In der Klinik konnte man mich so vor mir selbst schützen, aber wie sollte dies zu Hause funktionieren ...?!

 

Da ich in der Schule von Mitschülern und Lehrer immer beobachtet wurde, gelang es mir zu meinem Ärger, hier niemals etwas heimlich zu trinken! Zu Hause war ich allerdings "sehr" erfindungsreich und ein König des heimlichen Trinkens! Ich bin sicher, dass meine Eltern in diesem Bericht noch Dinge erfahren, die sie sich so in den Abläufen seinerzeit, nicht hätten vorstellen können.

Meine Eltern verschlossen vor mir alle Räume im Haus, wo Getränke zu finden waren. Sie legten die Schlüssel für die Türen so hoch, dass sie sich 100 % sicher waren, sie seien für mich unerreichbar. Ein "großer" Irrtum! Von meinem Ideenreichtum und der Kaltschnäuzigkeit hätte ich ein Familienmitglied de berühmten Safeknackern Gebrüdern Sass, der 1920 Jahren, sein können. Ich bin beim Schreiben sprachlos über meine Taten. Ich begreife nicht, wie ich als achtjähriges Kind, dies alles zustande bringen konnte.

 

So erreichte ich den Schlüssel (Nachstellung)
So erreichte ich den Schlüssel (Nachstellung)

Meine Mutter legte den Schlüssel nach dem Verlassen der Küche, immer oben auf die Garderobe. Am Abend, wenn Sie und mein Vater im Wohnzimmer am TV saßen, bemängelte ich aus meinem Zimmer, regelmäßig solange die Lautstärke, des Fernsehgeräts, bis die Tür vom Wohnzimmer geschlossen wurde. Jetzt kam meine Gunst des Augenblicks! Ich kannte die Gewohnheiten meiner Eltern sehr genau. Papa schlief auf dem Sofa fast immer beim TV ein. Mama stand kaum aus dem Sessel auf, bevor der 20:15 Uhr Film nicht zu Ende war. Mit Werbeunterbrechungen im TV musste ich zu dieser Zeit nicht rechnen, sie existierten noch nicht. War die Wohnzimmertür geschlossen, wartete ich 10 Minuten und schlich auf Strümpfen geräuschlos die braune Treppe herunter. An der Garderobe angekommen, nahm ich meinen unauffällig deponierten Wanderstock, bewegte den Schlüssel oben auf der Garderobe mit dem Griff des Stockes ganz langsam nach vorne. Solange bis der Schlüsselgriff mit dem Loch über der Garderobenablage zu erkennen war. War die Position erreicht, steckte ich die Stockspitze in das Loch des Schlüsselgriffes und konnte so den Schlüssel aufnehmen. Ich sperrte lautlos die Küchentür auf, stellte eine zuvor organisierte leere Limonadenflasche aus meinem Zimmer ins Getränkekörbchen und nahm mir eine Neue. Ich verschloss die Küchentür wieder. Steckte den Schlüssel auf den Wanderstock und legte ihn so, wie ich ihn genommen hatte, wieder auf die Garderobe. Ich wurde nie dabei erwischt! In meinem Zimmer zurück trank ich etwas aus der Flasche und ging dann schlafen. An einer Flasche hatte ich mehrere Tage, so viel es wohl auch nicht auf, wenn ich eine Flasche austauschte.

 

An manchen Abenden durfte ich 50 ml Malzbier mit in mein Zimmer nehmen. Ich musste die Menge abmessen und meiner Mutter den Messbecher zeigen. Zuvor spülte ich eine leere Dose, mit der Begründung aus, dass es mir aus der Dose besser schmeckte als aus einem Glas. Mein Trick, die Dose blieb beim Spülen fast voll mit Wasser, das Malzbier wurde dazugegossen. Mit einem Glas wäre dieser Schwindel nicht möglich gewesen. So konnte ich statt 50 ml fast 300 ml trinken.

 

Mein Großvater wie mein Vater waren wie schon erwähnt, Schlossermeister. So hatten wir zu Hause eine komplett Eingerichtete Schlosserei. Darin zu finden war auch ein "Dietrich Set" um alte Schlösser zu öffnen. Den nutzte mein Opa Peter meist, wenn Schlüssel abgebrochen waren. Dieses Set verschaffte ich mir immer wieder zum Spielen. Ich übte an der Werkstatt/- wie Kellertür. Dabei zeigte ich Opa immer, wie ich als Gehilfe die Türen öffnen könnte. Keiner wusste, dass ich hiermit, an der Seite unseres Hauses, den Öl-Keller aufschloss. Zu der Tür existierte offiziell kein Schlüssel mehr. Diese Tür war von der Werkstatt und dem Haus nicht einsehbar. Ich fuhr mit meinem Rad im Hof umher und plötzlich stand mein Fahrrad (mein ganzer Stolz) allein im Hof. Opa dachte ich bin oben, Mama und Oma dachten ich bin bei Opa. Über den Öl-Keller erreichte ich unbemerkt unsere Kellerräume. Die waren wegen mir ebenfalls verschlossen. Nun erreichte ich alle Getränke. Ich bevorzugte "Flirt" von Aldi in Dosen. Die Dose genoss ich unbemerkt im Öl-Keller, wo mich keiner vermutete. Heute noch, habe ich den leicht beisenden Geruch des Öles, in dem kühl feuchten Raum, in der Nase. War ich fertig, verschloss ich die Tür und entsorgte die Dose. Dosenpfand existierte zum Glück noch nicht. Trotz allem hatte ich immer ein schlechtes Gewissen bzw. leichte Angst, ich könnte im Anschluss ans Trinken sterben. Denn in Heidelberg hatte man mir erklärt, dass das viele Schlucken, nicht gut für mein Herz sei. Aber mit der Häufigkeit erkannte ich eine gesicherte Gefahrenlosigkeit. So wusste ich, wann immer diese Gespräche zu meinem Gewissen auftauchten, redet ihr nur, ich habe meine Erfahrungen! Allerdings verstand meine kindliche Naivität nicht, dass ich wegen Überwässerung immer wieder zur Dialyse in Heidelberg landete. Meine Mutter war ratlos und oft nervlich belastet, wie ich dies immer wieder erreichte.

 

Die Hinterhöfe zu den Kellern
Die Hinterhöfe zu den Kellern

Ich war mit dem Dietrich so geschickt, dass ich alle Kellertüren unserer Nachbarn aufschließen konnte. Es waren zu dieser Zeit keine Sicherheitsschlösser wie heute, sondern Kastenschlösser. Ich wusste mit der Zeit genau, wo jeder seine Getränke stehen hatte. Ich beobachtete, wann sie wegfuhren, klingelte dann noch nach der Methode Klingelstreich, um mich abzusichern. Dann wurde ich mit dem Dietrich Set zum Einbrecher, trank eine halbe Flasche Limonade oder Mineralwasser und verlies das Haus wieder. Vieler meiner Freunde bekahmen dafür zu Hause Ärger. Deren Eltern ärgerten sich über die angebrochenen Flaschen im Kasten. Zwar beteuerten meine Freunde ihre Unschuld, aber keiner glaubte ihnen! Mich hatte für die Tat sicher keiner im Blickfeld! Meinem Freund Markus wurde, da dieser Keller der einfachste war, immer wieder der Hosenboden strammgezogen. Dabei beteuerte er, auch zu Recht, seine Unschuld. Die Aufklärung von mir erfolgte erst ca. 15 Jahre später. Da wurde es, nun im Erwachsenenalter, mit großem Humor aufgenommen. Nur Markus Beschwerde sich für diese zu unrecht erhaltenen Schläge. Zu der Zeit war die Erziehung mit einer festen Hand noch Familientradition.

 

Bei der Gelegenheit erklärte ich auch meinem Nachbar Albert, dass ich wegen ihm aufhörte, in die Getränkekeller einzusteigen. Als er mit seiner Frau Elfriede weggefahren war, ging ich wie gewohnt von der Waldseite in ihren Keller. Ich muss bemerken, seine Kellertür stand immer offen. Als ich gerade im Keller auf dem Weg zu den Getränken war, ist er überraschend zurückgekehrt. Ich versteckte mich eilig in seinem Heizungskeller. Da stand ich nun zusammengekauert in der Ecke an seinem Kohlenofen, sodass ich von der Tür nicht zu sehen war. Mein Herz pochte vor Angst entdeckt zu werden, wie wild! Er machte dann kurz das Licht an, verlies aber wieder, das Haus. Fortan ging ich in keinen Nachbarkeller mehr.

 

Da ich nicht mehr in die Nachbarkeller einstieg, erschwerte sich die Getränkebeschaffung. Im Winter war zudem die Schlosserei verschlossen. So kam ich nicht an die Dietriche und in den Öl-Keller. Nun suchte ich im Haus verzweifelt nach etwas Trinkbarem. So fand ich nach einer Renovierung unseres Wohnzimmers, eine Flasche Wein im Schlafzimmer meiner Eltern. Die wurde beim Zurückräumen, vergessen. Es war eine Literflasche. Diese war zur Hälfte leer.  Daraus trank ich aus heutiger Einschätzung, ca. 5 cm. Was ich nicht wusste war, dass dies kein Wein, sondern Ansatzschnaps von meiner Oma Maria, für den Magen war. Nach dem trinken, ging ich, da es Samstag war, mit besagter Oma zum Einkauf. Ich habe bis heute noch das Gefühl im Kopf, welches mich überkam, als ich an die frische Luft kam. Von jetzt auf gleich war die Welt vollständig eigenartig. An der Hand meiner Oma ging ich wunderlich. Ich stolperte über jeden Stein und rief hoppla ... hoppla ... Oma kam das alles seltsam vor. Im ASKO (Einkaufsmarkt der 80iger), lief ich wohl einer Paprikaschote nach, die keiner außer mir gesehen hatte. Meiner Oma war dies, weil ich krank war, nicht geheuer und sie brachte mich umgehend nach Hause. Da schilderte sie meiner Mutter mein Verhalten. Meine Mutter dachte ich müsste  etwas essen, dann ging es mir wieder besser. Das Mittagessen hatte sie schon fertig. Jedoch aß ich in der Motorik etwas seltsam. So rief sie meinen Vater hinzu. Als er sah, wie ich immer wieder die Gabel am Ohr vorbei führte und den Mund nicht traf, sagte er, Martin ist alkoholisiert. Meine Mutter erklärte ihn für verrückt! Ich merkte wohl, dass etwas nicht richtig war, und wollte daher schnell in mein Zimmer. In Schlangenlinie lief ich durch die Küche. Mein Vater packte mich, legte mich auf mein Dialysebett, wo ich sofort einschlief. Dann kam wohl auch die Alkoholfahne durch. All das kenne ich nur durch Erzählungen.

 

Mein Vater rief nun in Heidelberg an und erreichte Dr. Müller Wiefel. Der erklärte sie müssen ihren Sohn aufwecken. Mein Vater versuchte einiges, damit ich aufwachte. Als es gelang, sagte er zu mir Dr. Müller Wiefel ist am Telefon und möchte mit dir reden. Drauf soll ich gesagt haben, "der soll seinen Wein alleine saufen, ich habe genug." Dr. Müller Wiefel bestellte uns in die Klinik nach Heidelberg. Da angekommen meinte er, jetzt testen wir mal ob Martin wirklich betrunken ist. Er sagte: "Martin gib mir deine Hand, ich muss Blutabnehmen." Ich gab ihm freiwillig meine Hand, ohne wie sonst Zirkus zu machen. Da meinte Dr. Müller Wiefel: "Martin muss betrunken sein." Das gerichtsmedizinische Institut Heidelberg bescheinigte mir, über 10 Stunden nach Genuss des Ansatzschnapses, noch einen Blutalkoholspiegel von 0,8 Promille. Ich durfte am selben Abend wieder nach Hause.

 

Einige Wochen später fand ich beim Suchen Weihwasser im Kleiderschrank meiner Eltern. Das trank ich bis zur Hälfte im Jahr 1980 aus. Das Weihwasser brachte meine Oma Mitte der 60iger Jahre aus Lourdes mit. Das Wasser war hygienisch nicht mehr genießbar. So erlangte ich eine sehr schwere Salmonellenvergiftung. Ich lag 4 Wochen in Heidelberg und kämpfte um mein Leben. Mein Onkel Harald sagte im Anschluss: "Siehst Du Martin, als Du das Feuerwasser des Teufels getrunken hast, konntest Du gleich wieder heim. Aber vom heiligen Weihwasser wurdest Du schwer krank. Trink zukünftig nur Feuerwasser wie die Indianer!"

 

Ich trank wirklich alles, was ich in die Finger bekommen hatte. Gleich ob es Mineralwasser, Wein oder Bier war. Es ging mir nur um Flüssigkeit nicht um Alkohol. Als wir mit der Uniklinik Heidelberg zur Ferienfreizeit nach Königsfeld fuhren, übergab ich beim Einstieg in den Bus, meinem Vater den Schlüssel zu meinem Schreibtisch. Er sollte ihn, in meiner Abwesenheit ausräumen. Da hatte ich alle leeren Flaschen gelagert. Man sagte später, er hätte über 30 Flaschen bestehend aus Mineralwasser, Bier-/ und Weinflaschen ausgeräumt.

 

Bei meiner Oma erwischte ich oft das Blumenwasser auf der Fensterbank. Auch das Kännchen trank ich aus. Das erzählte ich damals meinem freund Thomas Lehn (auch fast 50 Jahre Dialysepatient), der erklärte mir, er war und ist 15 Jahre älter, ich dürfe kein Blumenwasser trinken. Noch heute ist dies eine Anekdote zu unserem Kennenlernen, wenn wir bei gemeinsamen Veranstaltungen Laudatien halten.

 

Dialysebett, Bettenwaage und Nachtisch
Dialysebett, Bettenwaage und Nachtisch

Damit mein heimliches Trinken an der Dialyse nicht auffallen sollte, wog ich auf der Bettenwaage Kilosteine, von einer alten Küchenwaage meiner Oma aus dem Keller mit ein. War ich im Dialysebett, versteckte ich die Steine in meiner Schublade des Nachtisches. So stimmte das Gewicht auf der Bettenwaage meist. Oft war ich dadurch aber wie erwähnt, so überwässert, dass ich zur Klinikdialyse nach Heidelberg musste. Ich hatte die große Gabe mich mit Dingen so zu beschäftigen, dass man nicht auf die Absicht meines Handelns gekommen ist.

 

Über die Situation mit den leeren Flaschen und der immer wieder vorkommenden Überwässerung wurde auch Evelyn Reichwald informiert. Sie sollte mich psychologisch darauf hin betreuen, dass ich mit dem heimlichen Trinken, aufhören sollte. Leider hatte sie da keinen Erfolg! Parallel zu meinen Versprechen, damit aufzuhören, organisierten wir uns als kleine Patienten täglich in der Klinik zum heimlichen Trinken. Wir Kinder hielten im Zimmer in dem Punkt, zusammen. So lenkte ein Kind die Nachtschwester in der Zeit mit Blutdruckmessen ab, wo die anderen Getränke und Essen aus der Stationsküche organisierten. Mario organisierte sogar mal Rohesser, die er in der Unterhose ins Zimmer schmuggelte. Die durften wir, wegen salzarmer Diät, nicht essen. Sie waren mit organisiertem Malzbier (Karamalz), sehr lecker!!!

 

Sie sehen anhand dieser Schilderung welche große Bedeutung der Durst selbst bei Kindern hatte, die ja nie ein normales Leben kennengelernt haben. Für Erwachsene ist die Situation noch schwerer. Sie kennen ein normales Leben, mit uneingeschränkter Trinkmenge. Jedoch kann ich meinen Mitpatienten jeder Altersklasse nur anraten, sich an die Vorgegebene Vorgaben beim Trinken, zu halten. In 40 Jahren Dialyse habe ich keinen Patienten erlebt, der dauerhaft mit vier bis sechs Kilo zur Dialyse gekommen ist und dies lange überlebt hatte. Ich weiß ich werde die Patienten mit meiner Aussage nicht erreichen. Aber es ist auch in erster Linie ihr Leben.

 

Ich habe auch dank von Dr. Mehls und seinem damaligen handeln, später gelernt diszipliniert zu sein. So habe ich heute nach einem Wochenende nie mehr als 2 Kilo an Gewicht dabei. Ohne diese Disziplin würde ich sicher nicht mehr leben!

Die Erinnerung an die Geschichten trage ich heute noch alle mit Heiterkeit in mir.

 

Lesen Sie im nächsten Beitrag, wie ich das erste mal transplantiert wurde und erneut die Letzte Ölung von Pfarrer Ritsche erhielt.


„Prof. Dr. Martin Müller“ erhält die Letzte Ölung wird geohrfeigt und läuft davon!

Die Zeit mit Heimdialyse und heimlich trinken verstrich und nunmehr sollte ich erstmals mit den Kindern der Kinderklinik Heidelberg, in die Ferienfreizeit nach Königsfeld fahren. In der Vorkehrung mussten meine Eltern noch Erledigungen für meine Reise tätigen.

 

Ich durfte daher das Wochenende bei den Großeltern Oma Elli und Opa Paul verbringen. Gegen 17.00 Uhr läutete bei meinen Großeltern das Telefon. Großvater sprach sehr ernsthaft und fertigte Notizen. Worauf er erklärte: "Meine Tochter und Schwiegersohn melden sich umgehend bei Ihnen. Martin bringe ich inzwischen nach Hause.“ Gleichsam wurde mir ganz heiß und in mir stieg Angst auf, als ich das hörte. Ich spürte etwas kommt auf mich zu. Ich bekam große Angst und weinte. Großvater sagte mir aber nichts.

 

Wieder zu Hause waren auch meine anderen Großeltern, völlig angespannt. Sie verfügten über den gleichen Wissensstand. Nun kamen meine Eltern zurück und wurden von den Großeltern informiert. Ich war weiter ahnungslos. Mein Vater telefonierte. Als er wieder kam, erklärten mir meine Eltern ruhig, wir müssen nun nach Heidelberg, Dr. Querfeld (heute Professor in Berlin) hat uns benachrichtigt, es sei eine Niere für dich gefunden. Ich rutschte sofort vor Angst in eine emotionale Ausnahmesituation und lies mich kaum beruhigen.

Chierurgie Heidelberg
Chierurgie Heidelberg

Mit dem Taxi erreichten wir Heidelberg gegen 23:00 Uhr. Ich wurde in der Chirurgie von Dr. Horch und Dr. Rößler (heute beide Professoren) in Empfang genommen. Es erfolgten einige Untersuchungen sowie eine Dialyse. Mein Teddy, der bis heute ein Talisman darstellt, musste bei allem, bis in den OP, dabei sein. Im OP bekam er wie ich OP-Kleidung. Von 8:00 Uhr bis 11:00 Uhr fand die Transplantation statt, wo ich die linke Leichenniere eines 12 jährigen Mädchen aus Tilburg (Niederlande) rechts erhielt.

 

Auf der Station 6. Wach erwachte ich wieder. Es war ein langer Weg zurück ins Bewusstsein, bis ich meine Eltern und Schwester Liselotte, die von mir „Leise Lotte“, wegen ihrer zarten Stimme genannt wurde, klar visierte. Ungetrübt bekam ich mit, wie alle sprachen, besaß aber nicht die Befähigung, mich zu artikulieren oder eine Reaktion zu zeigen. Die Narkose zu dieser Zeit war sehr quälend und ich erbrach mich in der Aufwachphase. Ich hatte zudem einige Schläuche in mir, der Bauch schmerzte und der Blasenkatheter war sehr unangenehm. Ich durfte nicht aufstehen. So brachte man mir bei großen Notwendigkeiten, die ekelerregende kalte Pfanne ins Bett. Die hasse ich bis heute!

 

Nach einigen Tagen wurden die Schläuche gezogen, in der Folge auch die Klammern und die Nadeln. Am 25.08. wurde ich stabil in die Kinderklinik verlegt.

 

In der SItuation hatten die Ärzte keine Hoffnung mehr für mich.
In der SItuation hatten die Ärzte keine Hoffnung mehr für mich.

Dort Erlangte ich bedingt durch die Immunsuppressive und das geschwächte Immunsystem eine Lungenentzündung. In dieser Wandlung waren weder Prof. Schärer noch Dr. Mehls in Heidelberg, um mich qualifiziert zu behandeln. Nach Ermessen meiner Eltern (ich konnte das nicht bewerten), beherrschten die Ärzte vor Ort meine Behandlung nicht. In der Folge packte mich mein Vater in eine Decke und brachte mich am 04.09. unterirdisch zurück in die chirurgische Klinik zu Prof. Dreikorn auf die 6. Wach. So resultierte die Behandlung der Lungenentzündung. Die gleichzeitige Abstoßung wurde vom 1.09. bis 05.09. mit täglich 750 mg Cortison iV. therapiert. Weiter versuchte man mit Hasen-/Pferdeserum mein Immunsystem von der Niere abzubringen, um diese so zu retten. Es gab zu jener Zeit keine zahlreiche Immunsuppressionen wie heute in 2020. Im Therapieverlauf stieg mein Kreatinin auf 3 mg% und mein Harnstoff auf 110 mg %.

 

Die Abstoßung und Behandlung führte zu schweren Nebenwirkungen. So war mein Blutdruck kaum beherrschbar. Hauptsächlich in der Nacht entwickelte ich Blutdruckspitzen bis 260 zu 150. In diesem Fall erhielt ich teils mehrmals in der Nacht, Hypertonualum (Diazoxid) zur Blutdrucksenkung. Das Medikament hatte wiederum starke Nebenwirkungen, sodass ich tags darauf sehr abgeschlagen war. Über den Tag erhielt ich als 8 jähriger Junge: 4x 50mg Lasix (Wassertablette), 3x 40mg Dociton (Betablocker), 4x1 Nephresol (Blutrucksenker) sowie 3x1 Catapresan, 1 Catapresan Perlongette abends, 4x25 mg Captopriel, Luperin und Minispres (alles Blutdrucksenker). Vom Captupriel bekam ich solche Hautveränderungen, dass ich noch Tavegil (Antiallergikum) benötigte. Maloxan (Magenmittel) und Muronal (gegen Pilze) befanden sich auch auf meinem Medikamentenplan. Das unzählige Kortison/Urbason bewirkte obendrein, ein stark aufgedunsenes umgangssprachliches Mondgesicht. So wurde ich in der Zeit auch von vielen Kindern demütigend charakterisiert. Medizinisch erwog ich mich in einer gewaltigen Ausnahmesituation. Prof. Dreikorn kümmerte sich sehr um mich.

 

Prof. Dreikorn und ich hatten eine außergewöhnliche Beziehung. Nahezu eine Freundschaft, wie ich es als Kind empfand. So organisierte er, da ich das Klinikessen nicht wollte, dass die Schwestern mir Hähnchen oder Pizza außerhalb besorgten. Meine Eltern beließen mir für so Sonderfälle Taschengeld vor Ort. Weiter nahm er mich im kleinen weißen Kittel mit Namenschild „Prof. Dr. Martin Müller“ mit auf Chefvisite. Ich fuhr ihn auf der Trage über die Station oder spritzte Schwestern mit großen Spritzen nass, die ich von ihm mit Wasser erhalten hatte. Ich musste auf meine Spielzeugautos aufpassen, denn er entwendete mir immer meine London Busse von Matchbox. Suchte ich sie, fand ich sie in seinem Büro im Regal. Im Gegenzug eignete ich mir heimlich seine Stifte wie Piepser bei Untersuchungen an. Er wollte mich damals sogar mit zu einem Kongress nach Amerika nehmen. Ich wollte nicht, er schrieb mir zwei Karten von der Kongressreise. Ich mochte ihn sehr und denke heute noch gerne an die Zeit wie jetzt beim Schreiben. Er begleitete meinen Klinikaufenthalt, in einer gesundheitlichen schweren Lage so, dass noch heute die positiven Erinnerungen an die Zeit, die negativen übertreffen. Dafür bin ich ihm bis heute sehr dankbar!

In dieser Zeit lernte ich auch Fräulein Auer katholische Sozialarbeiterin sowie Herrn Pfarrer Ritsche, die mich seelsorgerisch wie freundschaftlich geleitet haben, kennen. Sie Besuchten mich spielten mit mir und lasen mir Geschichten vor. Als ich die schwere Lungenentzündung hatte und die Ärzte kaum noch Hoffnung für mich besaßen, erhielt ich von Pfarrer Ritsche erneut in meinem jungen Leben, die Letzte Ölung (heute Krankensalbung). Ich besitze auch zu diesen Menschen  sehr positive Erinnerungen wie Andenken, die mich im alltäglich spirituellen Leben, bis heute begleiten.

 

Im Verlauf des Aufenthaltes auf der Station 6. Wach, wiederfuhren mir auch zwei negative Erlebnisse. Beide sind bis heute prägend! So war ich am Mittagessen, als sich die Tür öffnete und eine Art OP-Team mit abgedeckten Wagen den kleinen Raum der Wachstation betrat. Mein Bett befand sich direkt rechts neben der Tür vor einem großen rot gekachelten Medikamentenstützpunkt. Man erkundigte sich nach mir. Mir war kein Eingriff angekündigt so war ich auch nicht darauf vorbereitet. Die Leute kamen alle samt zu mir, nahmen mir wortlos das Essen weg, zogen mir das Oberteil des Schlafanzuges aus und kippten das Bett samt mir flach. Emotionalität im Umgang mit einem Kind fehlte bei diesem Stoßtrupp komplett. Ich fing an zu schreien und nach meiner Mutter wie Vater zu rufen! Keiner der Leute lies von mir ab, im Gegenteil man hielt mich erneut fest, um einen Zentralen Venenkatheter zu legen. Als ich das Vorhaben begriff, bettelte und flehte ich, mir den Katheter rechts zu legen, da es links nie erfolgreich war. Aber dem Kind hier schenkte man weder emotionale Aufmerksamkeit noch Gehör! So endeten zwei Versuche immer in der Nähe des Ohres. Der dritte Versuch auf der rechten Seite glückte auf Anhieb. Ich trage heute diese Situation noch lebendig in mir. Die Leute beugten sich wie ein Bogen über mich fixierten mich durch drücken ins Bett und führten die Katheter ein. Am Ende stellte man mir das Essen wieder hin und lies mich weinend zurück. Ich befand mich erneut in einer emotionalen Krisensituation. Die Schwestern der Station tröstenden mich. Katheter am Hals sind mir seither ein Greul!

 

Ein anderes Mal ohrfeigte mich eine Schwester, da sie die Nerven bei meiner hartnäckigen Ablehnung zu Inhalieren verlor. Dies hatte für sie Konsequenzen, da die Patientin neben mir, dies meiner Mutter und den Ärzten schilderte.

 

Dann zählte ich in der Chirurgie fast ein Tag als unauffindbar. Im Untersuchungsraum hörte ich von der Schwester, dass eine Blasenspieglung erfolgen sollte! Ich war so geängstigt, dass ich als sie den Raum verließ, durch die Tür hinter der Liege fortschlich. Ich schlich über Irrgänge zurück zur Station. Ich wusste, dass im Toilettenraum, eine Tür zur Putzkammer war. Hier setzte ich mich in den hintersten Winkel auf einen Eimer und harrte im dunkeln, bis mich die Putzfrau am Abend zufällig aufspürte, aus. Die Blasenspieglung blieb mir in der Folge erspart.

 

Über den Flur rannte ich und Papa mir nach!
Über den Flur rannte ich und Papa mir nach!

Nicht erspart blieb mir eine Angiographie. Mein Vater begleitete mich mit Pfleger Theo zur Untersuchung. Ich lag nun vorm Untersuchungsraum auf der Liege. Ich war wiederum sehr ängstlich. Als mein Vater mit dem Arzt sprach und ich mich unbeobachtet fühlte, sprang ich blitzartig wie unerwartet für alle, von der liege auf und rannte barfüßig im Flügelhemd wie um mein Leben davon. Mein Vater rannte mir nach, fasste mich und hob mich hoch. Noch in der Luft lief ich, dann trat und boxte ich unter Zappeln meinen Vater. Es nutzte nichts, die Gefäßdarstellung der Niere erfolgte. Allerdings nun mittels leichter Narkose.

 

Am 06.10. wurde ich nach 65 Tagen entlassen. Mein Kreatinin war 1,1 mg % und Harnstoff 75 mg %. Es war ein unvergessliches Gefühl zu Hause mit den Eltern zu Tisch zu sitzen und wieder alles essen und trinken zu dürfen. Nun gewährte man mir wieder nach der Flasche zulangen. Auch konnte ich an den Kühlschrank ohne Überwachung und mir einheimsen, was ich erwünschte. Im Haus standen mir wieder alle Türen offen. Es war ein Gefühl, als öffnete sich bei einer Burg das Falltor zur Freiheit! Nur mein Blutdruck stellte weiter Probleme dar. Meine Mutter verbrachte viele Nächte im Wohnzimmer an meiner Seite. In der Zeit, wo ich schlief, wachte sie und kontrollierte den Blutdruck. Weckte mich, gab mir Medikamente und ließ mich weiterschlafen. Wie meine Mutter, dem allem standgehalten hat, wird ihr Geheimnis bleiben. Sie war Tag und Nacht für mich da und zeigte dabei nie Schwäche. Jedoch war unsere Beziehung immerzu angespannt. Sie musste zu viel ausführen, um mein Leben vor Schäden zu beschützen, was ich als Kind nicht begriff. So war sie immerzu Blitzableiter für meine Wutausbrüche.

 

Erbitterung löste ihre enorme Besorgnis um mich aus. Infolgedessen ließ sie kaum zu, dass ich mit meinen Freunden im Freien spielen konnte. Bei jeder Unpünktlichkeit der vorgegebenen Zeit zum Heimkommen erhielt ich mehrere Tage Ausgangssperre. In der Zeit dieser Gefangenschaft, so empfand ich es damals, schlich ich zu Oma Maria im Haus, wo meine Freunde Silke, Dirk und Torsten extra vor deren Fenster spielten. So banden sie mich ins Spiel mit ein. Dank Oma hatte ich wenigsten so etwas Kontakt zu meinen Freunden, wenn ich mal im Saarland und nicht in Heidelberg weilte.

 

Oma fragte meinen Vater, ob sie dies dürfe, er war damit einverstanden. Aber wir mussten leise sein, damit es meine Mutter nicht mitbekommen hatte. Meine Freunde erinnern sich heute noch daran. Die Angst meiner Mutter bestand darin, dass ich mich, bedingt durch die Immunsuppression wo anstecken oder ich mich beim Klettern auf Bäumen u.s.w. am Shunt (Gefäßzugang für die Dialyse) verletzen könnte. Sie hatte große Verlustängste um mich und wollte mich daher unter Kontrolle haben. Ich litt unter der Situation und entwickelte erneut gegen sie Wut, da ich es nicht verstand. Papa war da lockerer. Eventuell hatte er die gleiche Angst, ließ mich aber dennoch in meinen wenigen Momenten zu Hause, Kind sein. Auch meine Eltern befanden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation, die ich heute verstehe.

 

Am 16.10 hatte ich wiederholt eine Abstoßung (Rezidiv der fokalen Sklerose im Transplantat) und wurde in Heidelberg erneut bis zum 27.10. behandelt. Ich hatte in kurzen Abständen, angereiht Abstoßungsreaktionen, die in Heidelberg therapiert wurden. Durch die Behandlung mit Cortison und zahlreichen weiteren Medikamenten war mein Blutdruck um 260/160. In der Kinderklinik war Dr. Mehls der Blutdruckspezialist für Kinder. Er teste damals unter Intensivüberwachung Luperin an mir. Zu dem Medikament gab es bis dahin noch keine große Therapieerfahrung bei Kindern. Jedoch zeigte mein Blutdruck, wie auf andere Medikamente, keine Reaktion. Der hohe Blutdruck schädigte meine Niere zusätzlich.

Ab dem 09.01.1981 musste ich nach einer erneuten Abstoßung (Kreatinin 6,37 mg und Harnstoff 210 mg) wieder regelmäßig an die Dialyse. Dabei erlangte ich in Verbindung mit Heparin und dem hohen Blutdruck, viel Nasenbluten. So erhielt ich fortan zwei bis drei Blutkonserven im Monat (Bis heute ca. 140 Liter). Dabei durchlebte ich nicht nur alle allergische Reaktion sondern erlangte auch ein Hepatitis Non A Non B. Mit dem erneuten Beginn der Dialyse schloss sich für mich das Falltor der Freiheit wieder und ich stand neuerlich bei allem unter Kontrolle!

 

Zu jener Zeit war ich zurückgerechnet 156 Tage transplantiert. In der Zeitspanne erhielt ich, laut meiner vorliegenden Aktenlage, 26.000 mg Urbason. Dass ein Kinderkörper, dies samt anderen hochdosierten Medikamenten, inklusive radioaktiven Diagnoseverfahren (mehrmals wöchentlich Szintigrafien, harmlos war der Ultraschall siehe Bilder unten), tolerierte, grenzte an ein Wunder. Jedoch zeigen sich diese Therapien vermutlich in der Veränderung des Immunsystems. Heute besitze ich zahlreiche medikamentöse Unverträglichkeiten, die meine Ärzte nicht erfassen. Zahlreichen Kindern dieser Zeit ergeht es heute als Erwachsene ebenso.

Lesen Sie im nächsten Beitrag, wie ich nun im saarländischen Kreiskrankenhaus Völklingen unter Erwachsenen dialysiert wurde und Dr. Traut, Frau Dr. Vogelgesang und viele Pfleger, die mich im Leben lang begleiten sollten, kennenlernte.


Ein Kind unter Erwachsenen - Schlafstörungen, Wut- und  Schreianfälle.

Der Funktionsverlust meiner Transplantatniere bedeutete, dass ich fortan wieder beim Essen und Trinken reglementiert und überwacht wurde. Ich war von Neuem abhängig/unfrei! Musste wieder an die Dialyse und am besten freiwillig, den Arm zur Punktion reichen.  Meine Theatralik zur Schmerzqualität und der Schmerzdauer beim Stechen mag ich heute als „etwas“ übertrieben bezeichnen. Aber das Gefühl bei allem machtlos zu sein, machte mich so böse.  Und ich war erbittert, dass meine Eltern mich nicht beschützten, sonder dem Anraten der Ärzte zustimmten. Ärzte wurden so ein Stück zu meinen Feindbildern. 

 

Es war damals nicht so, dass ich die Notwendigkeit der Dialyse und was dazugehörte für mein Leben nicht verstand, dies alles, hatte Prof. Schärer, Dr. Mehls und Evelyn, mir/uns mit kindgerechter Literatur zur Verdeutlichung, gut erklärt. Nein nach all den hinter mir liegenden Beschwerlichkeiten, wo ich immerzu in Heidelberg wegen Abstoßungen war, dabei heftige Nebenwirkungen der Medikamente erlitt, enttäuscht den erneuten Beginn der Dialyse erlebte, wollte ich einfach meine Ruhe.  Was aber nicht umsetzbar war. So versteckte ich mich zu Hause oft unter meinem Bett. Dies hatte eine Klappe, die ich verschloss, sodass mich keiner sehen konnte. Es war der einzige Ort, wo ich mich sozusagen vor allem eingegraben konnte. Hier überlegte ich teilweise lange, wie ich dem Medizinischen entkommen könnte. Rief oder suchte mich meine Mutter, reagierte ich nicht und lies sie nach mir im Haus suchen.

 

Nun war ich in allem extrem eingeschränkt. Eine Freizeit, wie sie meine gesunden Freunde erlebten, war für mich ein Wunschtraum. Ich war mit der langen und teils komplikationsreichen Dialyse schlicht überfordert. Dass es eine Überforderung war, konnte ich als Kind nicht einschätzen. In mir war Wut und ein großes Gefühl wie Hilflosigkeit. Die Wut in mir, lies ich alle in meiner Umgebung verspüren. Meine Eltern dienten widerholt als Blitzableiter. Hauptsächlich meine Mutter. Sie musste so viele emotionale Angriffe hinnehmen.

 

Erneute Heimdialyse war für meine Eltern kein Thema mehr. Die belastende emotionale Situation, die ich beim ersten mal konstruiert hatte, war zu groß. Auch unser Hausarzt Dr. Wahl, riet, da er die psychische Situation meiner Eltern kannte, davon ab.

 

So dialysierte ich nun regelmäßig in der Kinderklinik Heidelberg. Unser Tagesablauf war an Dialysetagen sehr strapazierend und beinhaltete von der Abfahrt bis zur Heimkehr in Bildstock/Saar, 18 Stunden. Der Tagesverlauf forderte auch von meiner Mutter eine körperliche wie emotionale Höchstleistung.

 

In Heidelberg eingetroffen, wurde ich so gegen 9:00 Uhr an die Maschine angeschlossen. Der Anhängevorgang war wie immer von meinem bühnenmäßigen Schmerzensruf, bei der Punktion begleitet. Im Anschluss wurde in Gemeinschaft gefrühstückt. Es folgte der Schulunterricht mit der Lehrerin Frau Krone.  Sie kam zu jedem ans Bett und lernte so ca. eine Stunde mit uns. Wir waren vier Patienten in zwei Zimmern am Ende der Station H6. Wir sahen uns alle durch eine Glasscheibe. Aus dem Zimmerfenster erblickte man das Heidelberger Schloss, den Neckar mit der Schifffahrt, den Spielplatz mit der alten blauen Straßenbahn und die US Basis. An den Fenstern hingen lustige Gardinen mit Schlümpfen.

 

Das Team der Kindersialyse
Das Team der Kindersialyse

Während des Unterrichts kamen die Ärzte und später Evelyn. Nach dem Mittagessen besuchte uns die Kindergärtnerin Frau Rohleder und spielte mit uns. Manchmal machte Sie auch mit der Lehrerin Isolde, Anschauungsunterricht. So machten wir z.B. mal selbst Käse oder aus Korn Mehl. Wir schauten nicht nur einen Film zur Glasherstellung, sondern besuchten auch eine Glasbläserei. Hin und wieder besuchte uns die Diätberaterin Frau Möller (heute Frau Bürki) und erklärte uns spielerisch, was wir essen durften. Worin also Kalium und Phosphat steckten. Auch der Techniker Herr Schedewie erklärte uns bei Maschinenproblemen, die Maschinentechnik.  So war ich/wir immer beschäftigt. Wir Gleichaltrigen hatten aber auch untereinander viel Spaß während der Behandlung, auch wenn es uns schlecht ging. Die Gemeinschaft machte uns zu einer kleinen Bande, die sich trug und stützte. Alles war auf unser Wohlergehen und Unterhaltung abgestimmt. So rückte die Behandlung selbst in den Hintergrund.

 

Am späten Mittag ging es uns nach und nach schlechter. Der Blutdruck senkte sich,  die Fußenden unserer Betten gingen dabei hoch. Das war das abendliche Dialysebild. Dann kamen die Krämpfe und hin und wieder kotzten wir uns die Seele aus dem Leib. Zu dieser Zeit existierte noch keine Bikarbonat-Dialyse oder computergesteuerte Gewichtsabnahme, wie heute. Manchmal erlebten wir auch ein Hartwassersyndrom (Während oder direkt nach Hä­mo­dialyse auf­treten­de akute Hyperkalzä­mie, ver­ur­sacht durch ei­ne nicht aus­reichen­de Wasser­enthär­tung  (Defekt  Osmoseanlage) ), dass zu plötzlichen und heftigen Schmerzen, Muskelzuckungen, Kopfschmerzen u.v.m. führte. Auch erlebten wir immer mal wieder, wie der Blutschlauch in der Blutpumpe platzte. Der Blutverlust war, da man hierfür Vorsorge getroffen hatte, übersichtlich. Nach der 10 bis 12 Stunden Dialyseschicht waren wir alle erschöpft.

 

So schlief ich oft schon auf der Heimfahrt im Taxi ein. Wiederkehrend hatte ich nach der Dialyse Fiber und Schüttelfrost. Vor allem an Tagen, wo ich eine Blutkonserve erhielt. Erypo gab es zu jener Zeit noch nicht, infolgedessen bekamen wir in kurzen Abständen Blut. Der HB-Wert lag damals zwischen 3,5 g/dl bis 6,0 g/dl. Mittels der vielen Transfußionen besaßen wir Ferretinspiegel von teils ca. 8.000 ug/l und mehr, heute um 250 ug/l. So lag bei allen eine Hämosiderose (vermehrte Ablagerung von Eisen im Organismus als Folge einer erhöhten Eisenkonzentration im Blut) vor.

 

Die Dialysetage waren so anstrengend, dass am Folgetag ein Schulbesuch nicht möglich war. Ich wurde von der Schule freigestellt und erhielt von meinem Klassenlehrer  Herrn Weber, Hausunterricht.

 

Obengenanntes schilderte ich schon in anderen Kapiteln. Die Entwicklungen im Gesundheitlichen veränderten sich ständig und mussten stationär, immer wieder angepasst werden. Die Abläufe der Dialyse waren dabei fast immer unverändert. Jedoch zeigen die widerholt dargestellten Abläufe der Dialyse in Heidelberg, eine bevorstehende unvermeidbare Fehlentwicklung meiner Krankheitsbiographie auf.

 

Den Hausunterricht, mit dem Taxi zur Schule fahren zu können, viele Förderungen meiner Schwerbehinderung zu erhalten, war in der Pionierzeit,  keine Selbstverständlichkeit. Hierfür kämpfte mein Onkel Kurt (Bruder meines Großvaters Paul). Er war Schwerbehindertenobmann im Sozialministerium. Er unterstützte meine Familie in einem fundamentalen Punkt. Mein Vater wurde von ihm so entlastet, dass er nur benötigte Unterlagen besorgte und hin und wieder mit zum Sozialgericht musste. Von dem was mein Onkel erreichte, profitiere ich heute, 40 Jahre später noch.

 

Die Situation drei mal die Woche aus dem Saarland nach Heidelberg hin und zurück (ca. 360 km) zu fahren und 18 Stundentage zu verkraften, setzte allen zu. Ich war völlig entkräftet und Mama bekam zu Hause kaum noch etwas geregelt. Ebenso waren die Chefs meines Taxiunternehmens Gabi und Henna, kaum noch zu Hause. Eine schonendere  Lösung musste gefunden werden.

 

Kreiskrankenhaus Völklingen
Kreiskrankenhaus Völklingen

Mein Vater hörte, dass das Kreiskrankenhaus in Völklingen/Saar, eine Dialysestation besaß. Nach Rücksprache und in Zusammenarbeit mit den Ärzten in Heidelberg nahm man zu Völklingen Kontakt auf. Nach Gesprächen zwischen den Kliniken, sowie meinen Eltern, war man bereit, mich in Völklingen zu dialysieren.

 

Am Montag den 02.03.1981 war es soweit und meine erste Dialyse fand in Völklingen statt. Chefarzt Dr. Traut wurde so mit zu einem Pionier, der ein Kind im Saarland regelmäßig dialysierte. Er sowie die Oberärztin Frau Dr. Vogelgesang, behandelten mich zu Anfang persönlich. Sie punktierten mich auch. Nicht immer glückte dies und mein Arm war mehrfach so angeschwollen, dass eine Dialyse erst am Folgetag, möglich war. Es wurde erst unschädlicher, als das Personal punktierte.

 

So ähnlich sah der Bagger aus!
So ähnlich sah der Bagger aus!

Meine Eltern versuchten im Vorfeld alles, dass ich mich bei der Punktion kooperativ zeigte. Wäre ich tapfer, so war ihr Versprechen, bekomme ich zu meinem Geburtstag einen orangenen Bagger mit Schaufel. Auf ihm konnte ich sitzen und selbst fahren. Diesen wünschte ich mir schon lange!

 

Ich wollte mit der Aussicht darauf wirklich tapfer sein, aber vor den fremden Leuten fürchtete ich mich und weinte. Den Arm zur Punktion hielt ich aber schluchzend hin. Papa und Mama standen erneut neben meinem Bett und befreiten mich nicht aus dieser Situation. Ich hätte jetzt gerne versteckt unter meinem Bett zu Hause gelegen. Ilka war die erste Schwester, die mich in Völklingen betreute.  Sie war sehr nett!

 

Der Dialyseraum war so mächtig schwer und farblos. An den Fenstern befanden sich dunkle und lustlose Gardinen. An der Wand hing ein unbemerkbares Bild. Dies musste jedoch exakt gerade hängen, darauf achtete Dr. Traut bei jeder Visite. Aus dem Fenster sah ich vom Bett nur den Himmel. Hier waren keine Kinder und es gab auch kein Unterhaltungsprogramm. Das Personal war auf eine Kinderbetreuung weder vorbereitet noch ausgebildet. Auch sie gehören in der regelmäßigen Kinderdialyse zu den Pionieren im Saarland. ***

 

Fortan zählten Senioren zu meinen Mitpatienten. Statt sich zu unterhalten, schliefen sie nicht nur bei der Behandlung, sondern hin und wieder verstarben auch welche.  Mit der Erfahrung von Reanimationen und dem Tod war ich in der Kinderdialyse nie konfrontiert.

 

Wurde  ich bei der Behandlung lebendig ermahnte mich meine Mutter, ich solle ruhig sein andere wollen schlafen. So war die Dialyse, wenngleich nur noch 6 Stunden, endlos.

 

Die Behandlung verlief in Völklingen überhaupt nicht gut. Ich kotzte mir bei jeder Dialyse die Seele aus dem kleinen Zeh heraus. Nur mit dieser deftigen Rhetorik kann ich die Situation getreu nachzeichnen. Dabei erlitt ich zudem gehäuft einen Kreislaufkollaps. Hierfür erhielt ich häufig Novatral (zur Behandlung eines tiefen Blutdrucks- heute außer Handel) oder Gelifundol (Infusion den Blutdruck zu steigern). Einmal war der Kreislauf so entglitten, dass als mein Vater Hilfe suchte, zum Glück Frau Dr. Vogelgesang und eine Schwester vor der Zimmertür standen. Frau Dr. Vogelgesang packte mich an den Füßen und stellte mich auf den Kopf, während eine Schwester synchron abhängte. Im Anschluss hatte ich Fieber, Schüttelfrost und keinen Appetit mehr. Ich wollte nur noch ins Bett, aber auch da ging es mir so schlecht, dass ich alles um mich wie in Traumfrequenzen erlebte. Ebenso hatte ich immer wieder starkes Nasenbluten und Kopfschmerzen.

 

Für die Übelkeit wurde mir regelmäßig Paspertin (Mittel gegen Übelkeit) gespritzt. Der Pfleger Herr Mohr, der nicht immer zum Vorteil des Patienten mitdachte, spritzte mir mal so eine Menge, dass ich als Überempfindlichkeitsreaktion eine komplette Muskelverkrampfung erlitt. Ich konnte nicht mehr reden, schlucken oder mich bewegen. Frau Dr. Vogelgesang spritzte mir ein Gegenmittel. Ebenso erhielt ich, wegen der Blutsäure,  direkt in die Luftfalle der Maschine, Bikarbonat gespritzt. Hierbei kam es oft zu einer Hämolyse (lebensgefährlich hohes Kalium). Ich musste zu diesem Zweck immer Antikalium, in Patientenkreisen Wüstensand genannt, einnehmen. Hier liegt der Hintergrund, dass ich bis heute mein Kalium regelmäßig an der Dialyse überprüfen lasse und sehr darauf achte. Dies im Jahre 2020 bei den jungen Ärzten umzusetzen, kostet verbal oft ermüdende Diskussionen.

 

Um mir einige Vorkommnisse (Reanimationen usw.) zu ersparen, verlegte man mich zu der jungen Patientin Angelika. Angelika hatte ein beachtliches wie provokantes Benehmen. Mir war da nicht langweilig, denn ich lernte verbal viele gehaltvolle Wörter. Meiner Mutter war hierzu die Fassungslosigkeit oft ins Gesicht gezeichnet. Sie war der Auffassung ich solle mir nicht alles merken.  Leider wurde ich aus dem Zimmer von Angelika wieder verlegt. Nun kam ich zu Frau Ress und Frau Engler. Frau Ress brachte oft Quartetts zum Spielen mit und wir verstanden uns so gut, dass beide Familien privat viel unternahmen.  Alle waren um mich bemüht, dennoch war es nie so entspannt und unterhaltend wie in Heidelberg.

 

Zu dieser Zeit lernte ich auch die Pflegekräfte Luise, Albin, Lothar und Alfred kennen. Pflegepersonal, welches mich, wie der damalige junge Assistenzarzt  Dr. Schilz, bis zu ihrer Berentung, begleiten sollten.

 

Weiteres Personal, an das ich mich bis heute gerne zurückerinnere, sind: Ingrid, Ursel, Karin sowie die Pfleger Herr Braun, Bernd Mege, Waltraut, Sigfried, Elfi, Rainer, Rita, Manfred, Elisabeth, Christel, Helga, Ingrid,  Karin2, Petra, Albert und Anne. Ebenso an den Techniker Herr Keller sowie den Pfleger Herrn Bost, der mir ein Zwergkaninchen schenkte. Auch an einen Pförtner, dessen Tochter in einem Verlag arbeitete, die Micky Maus Hefte und Bücher druckten. Er brachte mir oft eine Kiste voll Ausschussware mit.  Das ermunterte mich sehr und so hatte ich Freude am Lesen. Ferner an das ältere Kiosk-Ehepaar, das mir immer etwas Süßes schenkte, wenn mir Mama da meine geliebte Dose Lift (damals noch Zitronenlimonade) kaufte.

 

Alle waren an unterschiedlichen Stellen der Klinik um den kleinen Martin, den jeder kannte, bemüht. Jedoch stellte der sich, weil es ihm oft an Dialyse so schlecht erging, stur. So verweigerte er wiederkehrend die Punktion.

 

In der Situation, die ich bis zum Extremen trieb, gab es zwei Abläufe. War meine Mutter anwesend, gab sie ihr Einverständnis, mich anhand von Fixierung durch Festhalten zu punktieren. So rückten die Pfleger Lothar, Albin sowie Alfred an, drückten mich ins Bett, sodass die Schwestern Luise, Karin, Ilka oder Ursel, punktieren konnten. Hier zeigte ich nicht nur mein Stimmvolumen, sondern auch meine Gelengigkeit wie Muskelkraft, bei der Gegenwehr.

 

Reiste ich alleine zur Dialyse an, was auch hin und wieder stattfand, machte ich mir, heute kann ich es sagen, auch mal einen Spaß daraus, mich einfach so zu verweigern. So errichtete ich mich als Mittelpunkt der Station!

 

Gleichsam, wie zu Hause an Abenden, wo es nicht nach meinem Kopf ging. Schimpfte man mit mir, regte ich mich künstlich so auf, dass ich im Anschluss so lange über imaginäre Herzprobleme klagte, bis mein Vater seinem eigenen Urteilsvermögen, nicht mehr traute. Er war sicher, dass ich simuliere. Er rief trotzdem Frau Dr. Vogelgesang  zu Hause an und erklärte ihr alles. Sie fuhr darauf hin von zu Hause in die Klinik und erwartete uns. Ich war innerlich stolz wie Oscar, da jetzt alle das taten, was ich wollte. Das EKG war normal und auf der Rückfahrt schlief ich meist ein. Beim Schreiben bin ich erneut über mich erschrocken. Wie konnte ich als Kind so sein?!

 

Joachim mein Freund und langer Weggefährte seit der Kinderdialysezeit  erklärte mir kürzlich, dass er immer verwundert war, dass ich meine Eltern so steuern konnte. Wenn er dies versuchte, verspürte er von seinen Eltern, den Schmerz der Bestrafung. Hohe Gewichtszunahmen kamen auch bei ihm vor, Verweigerung beim Stechen, wurden von den Eltern ebenfalls mit Züchtigung früh unterbunden.

 

Wenn ich mich widerholt  nicht punktieren lassen wollte, redete besonders Dr. Schilz auf meinem Bett sitzend,  geduldig auf mich ein. Manches mal gelang es ihm so, mich zur Punktion zu überreden. Dann gab es noch Dr. Kamprat  der immer etwas Zielwasser Indus  hatte. Er gab sich aber auch sehr viel Mühe, damit ich mich punktieren lies. War ich brav, versprach er mir eine kalte Dose Lift, welches ich so gerne trank! Er besuchte mich auch später noch, als er nicht mehr für unsere Station zuständig war, und fragte ob ich mich brav stechen lies. Dann gab es auch noch Dr. Schmitt, der ein Raubein war. Er fackelte nicht lange. Bei Punktionsverweigerungen rief er meine Mutter an, um sich das Einverständnis, unter Festhalten punktieren zu dürfen, einzuholen. Den mochte ich gar nicht.

 

Manchmal verweigerte ich mich so, dass ich mich unters Bett setzte und immer dann laut schrie, wenn mich jemand anfassen wollte. In solchen Situationen rief man meinen Vater von der Arbeit. Der kam in die Klinik und fackelte nicht lange,  nahm mich, der sich schreiend am Bett fest krallte, heraus, legte mich ins Bett, packte meinen Arm und sagte, zu mir, „ich steche jetzt, egal wohin halte besser still“. Im Bettregte sich der ganze kleine Kerl, nur der Arm lag 1A still. Vor meinem Vater hatte ich Respekt. Dies Beschrieb ich schon näher in einem Vorhergeneden Kapitel. Die Situation widerholte sich oft!.  Später erzählte mein Vater, dass die Nadeln immer korrekt saßen, überraschte ihn immer wieder. Meine Eltern waren mit meinem speziellen Verhalten emotional sehr belastet.

 

Nach dem Heidelberg mit Völklingen über meine Dialysetherapie enge Absprachen traf (kleineres Blutsystem für Kinder und kleinerer Filter unter 1 qm), ging es mir ein wenig besser. Die Dialysemaschine DWS war meine zweite Dialysemaschine, an die ich mich erinnern kann. Der Dialysefilter „Condis 4000“ für Erwachsene hatte damals eine Oberfläche von 1 qm. Heute reichen die Größen der Dialysefilter bis 800 qm.

 

Ich war wirklich, für alle die mit mir medizinisch in Verbindung standen, ein Problemfall. Die Abläufe waren sehr belastend, wobei ich nie Zeit bekam, mich psychisch zu verschnaufen. So traten immer neue Belastungen auf, die mich immerzu einforderten.

r. Lothar Barth li. Albin Leidinger 2015
r. Lothar Barth li. Albin Leidinger 2015

*** Ich stellte an meinen ehemaligen Dialysepfleger Albin Leidinger der mich von 1981 – 2018 mit betreute die Frage: Mich würde die Betrachtung interessieren, wie ihr es damals empfandet, mich als Kind zu dialysieren?

 

Albin Leidinger: „Kinderdialyse ist etwas sehr spezielles. Du hast uns sehr leidgetan und wir haben gehofft, dass du mit deiner Transplantation ein halbwegs normales Leben führen kannst. Wir waren überfordert, weil wir wie die Ärzte, keine Ahnung von Kinderdialyse hatten und so war es eine anstrengende Sache für beide Seiten. Wir hatten ja auch ein paar größere Jugendliche, denen wir nicht gerecht werden konnten.  Wir wussten ja nicht, ob das was wir machen, so auch richtig ist, genau wie bei den Ärzten, die  auch keine Ahnung von Dosierungen bei Kindern hatten. Heute könnte man sich schnell vernetzen. Da fehlte ein Sozialdienst und psychologische Hilfe, und die Kenntnis mit Kindern umzugehen. Das ist etwas anderes wie Kindererziehung. Das hat uns emotional deutlich mehr zu schaffen gemacht als bei Senioren, obwohl es für jeden Patienten immer ein Rieseneinschnitt und eine Tortur  ist. Damals ging es den Leuten ja wie du weist noch wesentlich schlechter und von den damaligen Jungen ist leider kaum jemand älter geworden. Wir hätten uns gewünscht, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben in den speziellen Zentren zu dialysieren aber das war entfernungsmäßig nicht möglich.“

 

Kurz vor Weihnachten1981, rief ich geängstigt meine Mutter, denn unvermittelt kamen aus meinem Harnleiter Heidelbeer große Blutkoagel (geronnenes Blut). Das schmerzte nicht nur, sondern machte mir Angst. Im gleichen Moment begriff ich, dass ich wiederum nach Heidelberg musste und nun Dinge anstanden, denen ich erneut hilflos ausgeliefert war. Frau Dr. Wingen meldete uns nach telefonischer Rücksprache, umgehend in der Chirurgie an. Meine Oma Maria musste, in der Zeit wo meine Mutter Koffer packte, auf mich achtgeben, denn bei mir bestand Fluchtgefahr. In der Klinik wurde eine akute Abstoßung diagnostiziert. Bei der Untersuchung war ich ungehorsam. Von Neuem trat ich den Arzt jähzornig in den Magen. Mein Vater bestand dafür auf eine Entschuldigung von mir, sonst würde ich nichts vom Christkind erhalten.  Was vollbringt ein Kind nicht alles für eine reichhaltige Bescherung.  ;-)

 

Für den 31.12. wurde der OP-Termin angesetzt. So konnten wir alle noch gewohnt Weihnachten feiern. Ich erhielt viele Geschenke darunter auch eine Autorennbahn. Mit der spielten Opa Paul und ich viel zusammen. Aus eigenem Antrieb fuhr ich, nach den Feiertagen, nicht mit nach Heidelberg.  Da angekommen begrüßte mich zeitnah mein sogenannter „Doktorfreund“ Prof. Dreikorn. Mit seiner Anwesenheit war meine Ängstlichkeit nur noch halb so groß.  An Silvester entnahm er oder Dr. Horch, da bin ich mir heute nicht sicher, die Transplantatniere.

Toddel und ich auf Station nach der Aufnahme
Toddel und ich auf Station nach der Aufnahme

Am Tag der OP sollte ich lange warten, bis ich am frühen Nachmittag abgeholt wurde. Solange spielten meine Eltern mit mir Karten. Bei jedem Telefonklingeln hatte ich interwallmäßige Angst, dass es losging. Ich erhielt vor der OP auf Station noch eine Beruhigungsspritze. Bis zur OP-Tür begleiteten mich meine Eltern und mein Teddybär Toddel. Diese Strecken waren für uns immer emotional belastet  (zum schreiend Davonlaufen). Ich hatte dabei unendliche Angst und meine Eltern wiederum waren nicht sicher, ob sie mich lebend wiedersehen. Meine körperliche Verfassung war zu dem Zeitpunkt, sehr labil.

 

Hinter der Tür erwartete mich und Toddel, das OP-Team. Rückblickend kann ich sagen, das Team ging immer sehr liebevoll mit mir als Kind um. Meist schaute auch noch Prof. Dreikorn kurz nach mir und sprach mir Mut zu. Vom Narkosearzt wollte ich erfahren, wann ich das Schlafmittel erhalte. Sagte er jetzt, schaute ich zur Uhr. Das Einschlummern war mit einem Empfinden des Erstickens, sehr unangenehm. Das Gefühl gibt es bei den heutigen Narkosen nicht mehr. Die Operationsdauer empfand ich immer kurz wie ein Augenschlag.  Nur die Uhr zeigte an, wie viel Zeit vergangen war. Die Zeiten merkte ich mir immer genau. Sobald sich meine Augen öffneten, begann ich mich wieder auf die Beine zu kämpfen.

 

Gegen Abend war ich wieder ansprechbar. Das große Wachzimmer roch nach Zwiebelkuchen und Glühwein. Beides wollte ich, ebenso wie das Feuerwerk anschauen.  Letzteres durfte ich zusammen mit meinen Eltern aus meinem Bett betrachten.

 

Zu meinen regelmäßigen Besuchern in der Chirurgie gehörten zu meiner Freude, neben Evelyn Reichwald, auch Frau Auer und Pfarrer Ritschie. Nach 16 Tagen mit 14 Dialysen über 5 Stunden wurde ich wieder nach Völklingen entlassen. Die Dialyse der Chirurgie erlebte nach meiner Erinnerung keine Punktionsverweigerung. Eventuell, da ich hier meist frisch operiert wurde und starke Schmerzen hatte.

 

Im April 1982 war meine Erstkommunion. Im Vorfeld wurde die Familie neu eingekleidet. Ich war aufgeregt und freute mich auf dieses Ereignis. Ich wünschte mir nur eines, nicht erneut in die Klinik zu müssen. Am 18. April war mein Tag und ich war gesundheitlich, Gott sei Dank, stabil. Ich erinnere mich noch heute an die schöne Feier in der Kirche sowie die, die mir meine Eltern im Anschluss arrangiert hatten. Mein Cousin Bernd backte mir als Konditor, soweit ich mich erinnere, eine Buchtorte. Es gab sehr gutes Essen und die Familie und alle Freunde waren dabei. Auch Frau Auer, die Seelsorgerin aus Heidelberg war angereist.  Am Abend viel ich übermüdet ins Bett.

 

In Völklingen erhielt ich am Folgetag vom Personal wie den Patienten der Dialyse viele Geschenke.  

 

So um die Jahresmitte musste ich erneut zur Transplantationsvorbereitung ein paar Tage nach Heidelberg. Frau Jungmann und Herr Jakobi  von der Chirurgie,  betreuten die Abläufe meiner Untersuchungen, wie zur ersten Transplantation. Auch an beide denke ich gerne zurück. Am Ende der Vorbereitung fand noch ein Gespräch mit Prof. Dreikorn und meinen Eltern statt. Im Verlauf des Gespräches holte er ein Matchbox-Auto aus seinem Regal. Dieses hatte er mir erneut heimlich nach der OP zum Jahreswechsel entwendet. Ab Februar 1983 wurde ich wieder auf der Warteliste geführt.

 

Goldene Hochzeit von Oma Maria und Opa Peter
Goldene Hochzeit von Oma Maria und Opa Peter

Im Oktober 1982 erlitt meine liebevolle Oma Maria, die im Haus wohnte, einen Herzinfarkt. Leider hat sie den Zweiten in der Klinik nicht überlebt. Es war der erste Verlust, den ich als Kind in der Familie erlebte. Da Oma immer da war, vermisste ich sie ebenso wie mein Opa Peter, der über 50ig Jahre mit ihr verheiratet war.

 

Die Dialyse in Völklingen verlief weiter wie beschrieben.  Vermehrt verweigerte ich die Dialyse. Immer wieder musste man mich im Bett zum Stechen fixieren. Immer häufiger musste mein Vater von der Arbeit zur Punktion anrücken.

 

Ich zeigte immer mehr Auffälligkeiten, die  aufzeigten, dass ich unter der Belastung der Dialyse psychisch immer mehr litt. So entwickelte ich Schlafstörungen, Wut- und  Schreianfälle. Zudem überschritt ich im lebensbedrohlichen Maß, die erlaubte Flüssigkeitszufuhr. Außerdem baute  ich nun richtige Punktionsängste mit Komplettverweigerung auf. Ich drohte sogar, mir die Nadeln wieder zu ziehen. Die Reaktion war für alle neu!

 

Das alles belastete nicht nur mich, sondern auch meine Eltern ebenso wie das Pflegepersonal und die Ärzte. Keiner war medizinisch auf Kindernephrologie geschult und wusste nicht psychologisch korrekt mit mir umzugehen. Meine Eltern waren unerträglich belastet und standen vor unlösbaren erzieherischen Aufgaben. Wie soll man sein Kind, um das man so besorgt ist und so große Verlustängste besitzt, maßregeln …?!

 

Evelyn Reichwald aus Heidelberg wurde als Kinderpsychologin einbezogen. Ich glaube, sie reiste damals zu Gesprächen mit Frau Weck nach Völklingen. Man suchte darauf hin einen Kinderpsychologen im Saarland. So waren wir häufig bei Dr. Grenner. Ebenso nahm man mich zur Ferienfreizeit der Kinderklinik nach Bad Wildungen mit.

 

Gruppe der Ferienfreizeit. Ich mit Hut
Gruppe der Ferienfreizeit. Ich mit Hut

Man holte mich so aus meinem Alltag drei Wochen heraus. Ebenfalls sollten meine Eltern wie das Personal der Dialyse zur Ruhe kommen. Nun dialysierte ich wieder unter gleichgesinnten. Ich fühlte mich unter meinen bekannten Mitpatienten wohl. Dennoch gab es bei der Punktion alt bekannte Probleme. Ebenso trank ich alles, was ich erreichen konnte.  Dabei war ich nach wie vor in den Abläufen der Beschaffung, sehr erfinderisch wie geschickt. Ich organisierte nicht nur für mich, sondern auch für Mitpatienten. Mein Betreuer war verzweifelt, da er nicht erfasste, wie ich trotz enger Überwachung, in hohen Mengen an Flüssigkeit gelangte. Begleitet wurden wir ärztlich von Dr. Lennert (2020 leider verstorben), den wir sehr mochten. Auch Evelyn war teils mit Ihren kleinen Kindern bei uns. Heute erinnere ich mich noch ans Grillen, Zelten mit Dr. Lennert auf einer Wiese mit Kühen, an ein Seefest am Edersee und ein schönes Fest auf dem Klinikgelände zum Abschied. 

 

Meine Eltern kamen mich abholen, meine Mutter nahm mir auf der Rückfahrt das Versprechen ab, dass ich nicht mehr heimlich trinken sollte. Ich hielt dieses Versprechen genau im Zeitraum vom Frankfurter Flughafen, den wir besichtigten, bis zur meinen Großeltern Elli und Paul ein. :-)

 

In der Folge der Ferienfreizeit war ich etwas zugänglicher. Es folgten jedoch immer wieder Verweigerungen und hohe Gewichte. Zahlreich musste ich daher immer wieder stationär in Heidelberg aufgenommen werden.

 

Am 02. Oktober 1983 klingelte morgens unser Telefon. Mein Vater war zur beruflichen Weiterbildung. Welche Nachricht uns erreichte, erfahren Sie im nächsten Kapitel.

 


Ein Anruf mit Folgen! Der kleine Teufel mit Unschuldsmine …

01.10.1983 Bildstock Saar … Samstag ca. 9:30 Uhr. Meine Mutter erledigt die Hausarbeit, während ich auf meinem Kassettenrekorder mein Lieblingslied, Afrika von Ingrid Peters höre. In dem Augenblick klingelt das Telefon …! Mama ruft mir zu, „Martin gehe bitte ans Telefon, ich kann gerade nicht.“ >>Ich denke für mich, dass ist sicher Oma.<< Ich hebe ab, melde mich und höre: „Hallo Martin hier ist Dr. Bonzel (Heute Prof. seit 2008 im Ruhestand) wie geht es Dir?“ Ich antworte stockend … hallo ... gut. Da kam meine Mutter dazu und ich gab ihr den Hörer. >>Ich denke warum ruft jetzt ein Arzt aus Heidelberg an?<< Mir wird seltsam im Magen, das hat noch nie was Gutes bedeutet!

 

Ich habe so ein Gefühl als komme da etwas auf mich zu. >>Warum ruft Dr. Bonzel auch sonst an …?! Krank bin ich nicht und bei der Dialyse in Völklingen war alles Normal. Ich denke ist da etwas, wozu ich nach Heidelberg muss? Dazu habe ich echt keinen Bock. Können sie mich nicht alle einfach in Ruhe lassen! NEIN … ich will jetzt nicht etwas mitmachen müssen!<< So entschied ich den Rückzug anzutreten, um unauffindbar zu sein. >>Sicher ist sicher dachte ich!<< Die Gedanken liefen wie ein Blitz in mir ab. Doch als ich das Zimmer verlassen wollte, sagte Mama; „Martin Dr. Bonzel möchte mit dir reden.“ Ich höre noch meine Mutter sagen: „Ja ich kann meinen Mann bei der Fortbildung erreichen.“

Pro. Dr. Bonzel
Pro. Dr. Bonzel

Mama übergab mir den Hörer. „Hallo Martin sagt Dr. Bonzel, du hast eben den Hörer zu schnell übergeben, sonst hätte ich Dir die gute Nachricht sofort mitgeteilt.“ >>Selten hatte ein Arzt eine gute Nachricht für mich!<< „Wir haben eine neue Niere für Dich gefunden!“ In dem Moment stockte ich, denn ich hatte sofort Angst und Panik. Ich wusste von der ersten Transplantation, was diese Nachricht, für mich bedeutete. Er sprach ganz ruhig mit mir und erklärte, was nun komme. Du hast es ja schon mal mitgemacht sagte er zu mir, Du bist da ja schon Fachmann. Du musst für die Transplantation operiert werden und bist dann wieder eine Zeit bei uns in Heidelberg. Von jetzt auf gleich war mein Leben abermals von anderen beeinflusst und ich hatte wiederholt keine Mitsprache zu den Abläufen. „Ich werde Dich in der Kinderklinik erwarten, dann gehen wir in die Chirurgie, da erwartet Dich Prof. Dreikorn. Hab keine Angst …!“Nein Angst hatte ich wirklich nicht, in mir war Panik!!! Nach einem erneuten Gespräch mit meiner Mutter sagte, die; „Wir kommen wie besprochen!“

 

Ich glaube ich sagte nichts, ich machte auch keinen Zirkus, weinte und schrie auch nicht vor Angst. In mir herrschte, aus heutiger Sicht, so eine Art stumme Hilflosigkeit. Innerlich lag ich wieder wehrlos auf dem Rücken, wie ein Hund der sich ergibt. Ich wusste aus der Situation komme ich nun nicht raus. Es war alles festgelegt.

 

Meine Mutter legte auf schaute mich wortlos an, nahm mich in den Arm, lächelte und sagte; „nun darfst du bald wieder alles trinken und essen!“ Ich glaube in dem Moment steckte genau so viel Angst und Hilflosigkeit in ihr, wie in mir. Auch Sie musste nun alles, was kommt, in Sorge mitmachen. Doch als Kind verstand ich dies in der Art nicht. Sie sagte; gehe in Dein Zimmer und packe Dir ein paar Spielsachen für Heidelberg ein. Ich versuche Papa zu erreichen.“ Er war übers Wochenende im Kardinal-Wendel-Haus im nahen Homburg zur beruflichen Weiterbildung.

 

Nunmehr musste alles schnell gehen, denn es Stand eine Transplantation bevor. Der Patient sollte vor dem Organ in der Klinik sein. Diese Eile war meinen Eltern bewusst.

Mama sprach mit Papa und wir fuhren ihn abholen. 1982 hatten wir einen Opel Kadett bekommen und meine Mutter machte den Führerschein. Wir waren Stolz auf sie, dass sie es schnell schaffte. Nach dem alle Koffer gepackt waren, buchte Papa noch ein Zimmer bei Café Frisch für die nächsten Tage.

 

Gegen 20:00 Uhr fuhren wir, nach dem wir uns von meinen Großeltern Opa Peter, Oma Elli und Opa Paul, die viel Glück wünschten, verabschiedet hatten, nach Heidelberg. Wenn man vor etwas Respekt, sprich Angst hat, kommen einem 160-km im Zeitempfinden, wie fünf Kilometer vor. Im Uniklinikum angekommen, sprach Dr. Bonzel, kurz mit uns und wir gingen zur Chirurgie. Mittlerweile war es kurz vor 23:00 Uhr. Mein Herz pochte, mir war Übel und ich hatte Durst. Doch essen und trinken durfte ich schon zu Hause nichts mehr. Man durchschaute nicht, wann das Organ ankommt und die OP startet.

 

In der Chirurgie eingetroffen, begrüßte uns der diensthabende Arzt Dr. Ulrich Hauss (heute Urologe in Bad Salzuflen). Prof. Dreikorn kam später von zu Hause dazu. Nach der Begrüßung sprach er wie mit einem Erwachsenen mit mir. Er erklärte mir genau die Abläufe und sagte, wir zwei schaffen das schon! Ich passe auf Dich auf.  Nun gehst Du mit Dr. Hauss zu den Untersuchungen, wir sehen uns Später wieder. So gingen wir und ich bekam Blut abgenommen, ein EKG, Lungenfunktionstest wie ein Röntgenbild erstellt.

 

Inzwischen war alles erledigt. Wir wanderten durch die großen weißen Gänge zurück zur 6-Wach-Station. Alles war still im Haus und so schallerten unsere Schritte über den Flur. Es war Nacht und überdies Wochenende. Es stand fest, vor der Transplantation musste ich noch einmal dialysiert werden. In der Dialyse, die heute noch an identischer Stelle liegt, lag eine Frau neben mir, die auch Hoffnung auf die Niere besaß. Sie war gewissermaßen meine Ersetzung, sollte die Transplantation bei mir nicht möglich sein. Meine Eltern erzählten später, dass die Frau, als sie erfuhr, dass sie die Niere nicht bekommt, mir und ihnen, keine guten Wünsche hinterlassen hat. Ich denke Sie war sehr betrübt, da falsche Hoffnungen in ihr entstanden sind. Die Dialysebehandlung war damals lange nicht so verträglich wie heute für Patienten.

 

Nach der Dialyse wurde ich im  Bett zurück zur 6-Wach gebracht. Hier hatte seltsamer weiße wieder Schwester Liselotte (von mir wie schon dargestellt „Leise Lotte“ genannt) Dienst. Sie war auch bei der ersten Transplantation zugegen. Sie bereitete mich für die Operation vor. Als ich Haube Strümpfe und Flügelhemd anhatte, bekam ich noch eine Spritze zur Beruhigung. Schätzungsweise ca. 5:00 Uhr ging es dann los. Mama, Papa und mein Teddybär Toddel geleiteten mich bis zum Operationsaal. Der Blick zwischen meinen Eltern und mir enthielt Angst wie Hoffnung. Ich denke die Angst in Eltern um ihr Kind, werden nur die verstehen, die schon öfters sorgenvoll vor einem OP gesessen haben.

 

Im Vorraum begrüßten mich der Anästhesist und sein Team. Auch Prof. Dreikorn begrüßte mich verkleidet. Alle machten nun Späße mit mir, bastelten aus einem aufgeblasenen Handschuh, einen Punker. Unterdessen lies mich der Narkosearzt angstfrei einschlafen. Ich erhielt nun die rechte Niere eines 19-jährigen Motorradfahrers, der ein Schädel-Hirn-Traumer erlitt. Die Niere wurde am 01.10.1983 im Hospital St. Luc in Brüssel entnommen und hatte eine kalte Ischämiezeit (ohne Funktion zwischen Organspender und Organempfänger auf Eis),von 28 1/2 Stunden. Die Niere zählte in den Übereinstimmungen als Full House Organ!

 

Die Operation verlief komplikationslos und ich war wohl kurz nach der OP ansprechbar. Tatsächlich nahm ich das Erste wieder in den Räumen der Station 6-Wach war. Die Stimme meiner Eltern, die mit der Schwester redeten, führte mich aus der Narkose. Ich öffnete relativ schnell die Augen. Die Uhr zeigte kurz vor 16:00 Uhr. Ich hatte starke Schmerzen. Prof. Dreikorn erklärte es sei alles gut verlaufen. Dass ich nun Schmerzen hätte, wäre normal. Aber das wisse ich von der ersten Transplantation. Meine Eltern waren froh, und dankbar, dass ich die erste Hürde geschafft hatte. Da ich die Situation, kannte, war nicht mehr alles so beängstigend wie beim ersten mal. Mein Kampfgeist, wieder schell auf die Beine zukommen, war sofort in mir vorhanden!

 

In solchen Situationen saß meine Mutter am Bett und kraulte mir den Arm. Ich roch Ihr Parfüm, das beruhigte mich, auch wenn die Augen aus Müdigkeit von der Narkose geschlossen waren. Papa stand meist am Fußende nannte mich bei meinem Spitznamen für besondere Situationen und zwickte mich in die Zehe. Seine Art zu sagen, es wird alles wieder gut. Meine Eltern ließen mich so liebevoll ihre Nähe spüren. Ich hatte Schmerzen und Durst. Doch trinken durfte ich nichts. Ich erhielt nur um den Mund zu befeuchten, die ekligen Zitronenstäbchen. Meine Eltern saßen noch abends an meinem Bett. Die Schwester bittete sie nun zu gehen, wäre mit mir etwas, würde sie sofort im Hotel anrufen. Meine Eltern hatten kaum geschlafen oder etwas gegessen. Als sie gingen, beobachtete ich noch etwas, was in dem kleinen Wachzimmer vor sich ging, und muss dabei eingeschlafen sein. Ich verbrachte eine ruhige Nacht.

 

Die Niere wollte nicht arbeiten, sie schied nur ein paar Tropfen Urin aus. Die regelmäßigen Nieren-Szintigrafieen zeigten eine Blasenerscheinungszeit von ca. 25 Minuten (Norm 2 - 4 Min.).  Auch Kreatinin und Harnstoff waren ebenfalls so hoch, dass ich weiter täglich zur Dialyse musste. Ich war enttäuscht, denn die Prozedur kannte ich von meiner ersten Transplantation. Alles wieder so Erleben? Die Gedanken machten mich unzufrieden und tränenreich. Sodass hier auch wieder Evelyn Reichwald zurate gezogen wurde. Ebenso versuchten mich Fräulein Auer, Herr Pfarrer Ritsche und Prof. Dreikorn aufzumuntern. Ab und an kam auch Prof. Schärer von der Kinderklinik zur Visite, um sich über den Verlauf bei mir zu informieren und sprach mir Mut zu. Ihn mochte ich gerne. Er versprach, wenn die Niere läuft, dürfte ich in die Kinderklinik kommen.

 

Fräulein Auer und Pfarrer Ritsche, wie meine Eltern und Großeltern, brachten mir Gott näher. Ich war schon mit meiner Oma immer in die Kirche gegangen. Gott faszinierte mich. Man konnte ihm im Stillen so viel erzählen, und wenn man glaubt, spürt man auch, dass er da ist und antwortet. Leute, die nichts mit der Kirche am Hut haben, mögen an dieser Stelle von mir denken, was sie möchten. Bis heute bin ich im Glauben stark und er trug und trägt mich mit Kraft und liebe durch viele schwere Zeiten. Für mich war und ist Gott eine große Kraftquelle für mein Leben! So war ich auch in der Klinik immer zur Kapelle zum Beten gegangen.

Mein täglicher Ablauf verlief fast immer gleich. Kurz vor 8:00 Uhr erfolgte die Blutabnahme. Frau Jungmann kümmerte sich an der großen gemauerten Theke vor meinem Bett um die Blutproben, die ins Labor kamen. Dann hieß es warten, wären die Werte besser, müsste ich nicht zur Dialyse. Doch da die Niere keinen Urin produzierte, war die Hoffnung eigentlich Utopie. Bei der Visite sagte Prof. Dreikorn zur Trinkmenge immer; Ausfuhr = Einfuhr Plus 500 ml. Übersetzt hieß dies für mich, aktuell durfte ich nur 500 ml am Tag trinken, da ich keine Urinausscheidung hatte.

Ein über den anderen Tag wurde ich von der 6-Wach, über den Aufzug in den Keller gebracht und durch die langen wie teils engen unterirdischen Gänge zum DKFZ zur Szintigrafie geschoben. Zu Anfang vom Pflegepersonal im Bett, später von Mama im Rollstuhl. In der einen Ecke war es warm. Man hörte Pumpen und Maschinen dröhnen. Die Wärme roch nach einem schweren trockenem wie staubigem Keller mit etwas Garage. Begleitet vom Gummigeruch frischer Autoreifen und leichten Lösungsmitteln. Die Räder des Rollstuhls quietschten auf dem grauen Noppenboden. Die Arbeiter im Keller kannten mich schon winkten und fragten immer, wie es mir nun gehe. Auf dem Weg mussten wir durch eine gelbliche durchsichtige Kunststofftür mit zwei Türflügeln. Links stand mein Getränkeautomat im Treppenhaus, rechts waren die Umkleiden des Pflegepersonals. Weiter ging es durch eine große grüne Feuertür. Dahinter waren lange Gänge die durch aneinanderreihende Neonröhren, in die Ferne verliefen. Hier zog es heftig und roch nach Parkhaus mit Abgasen. Über den Gang ging es durch eine rote Feuertür. Dahinter war ein geschlossener breiter wie dunkler Gang. Je weiter man ging je kleiner wurde die Tür, durch die wir gingen. Hier war es nicht nur sehr warm, sondern roch auch unangenehm beißend nach Tierstreu. Durch Glasscheiben sah man Menschen in Schutzanzügen und Masken. Inmitten des Ganges war links, ein Aufzug, der in den zweiten Stock führte. Aus dem Fahrstuhl raus zwei mal Links dritte Tür rechts war der Raum, wo die Szintigrafie stattfand. Hier war alles hell und es standen wieder die großen Rechnerschränke mit den Magnetbändern im Raum, die man laufen sah. Man wartete auf mich, gab mir noch die Jod-Tropfen, die man vor der Untersuchung nehmen musste. Den Geschmack vergisst man auch nicht.  Der Arzt den ich, warum auch immer, Nudel nannte, spritzte mir das radioaktive Mittel für die Untersuchung. War es drin, rief er Schuss und die Uhr fing an zu laufen. Auf dem Rückweg zog mir Mama oder Papa immer eine Dose Fanta light aus dem erwähnten Getränkeautomaten der auf dem Weg lag.

Die Tage vergingen die Schmerzen wischen, die Drainagen und Katheter wurden gezogen, sodass ich mich immer freier bewegen konnte.

 

Neben dem Trinken war auch das Essen ein Problem.  Denn das viele Kortison (Urbason) sowie das neue Medikament Sandimun (Cyclosporin) machten einen unsagbaren Hunger! Ich war mit eines der ersten Kinder in Heidelberg, deutschlandweit die mit Sandimun behandelt wurden. Meine Eltern erzählten, dass sie hier nach Aufklärung, schriftlich zustimmen mussten. Es gab noch keine aussagekräftigen Erfahrungen bei Kindern mit Sandimun. Auch an der Stelle kann man mich, wie meine Mitpatienten, als einen kleinen Pionierpatienten ansehen. Ich weiß, man durfte Sandimun nur in Apfelsaft in einem Porzellanbecher auflösen. Wir machten es als Kinder mal in einem Plastikbecher. Der begann sich darauf hin aufzulösen!

 

Ich hatte durch die Medikamente kein Sättigungsgefühl und konnte immer Essen. Damit ich nicht zunehmen sollte, setzte man mich auf Diät! Daran habe ich mich natürlich nicht gehalten. So ist in einem Arztbrief von Prof. Dreikorn zu lesen; „Zu erwähnen wäre noch, daß Martin trotz Einfuhrbeschränkung unsererseits doch an Gewicht zugenommen hat, so daß vermutet werden muß, daß er öfters kleine Zwischenmalzeiten zu sich nimmt.“ Kleine Zwischenmahlzeiten …?! Der König des heimlichen Trinkens war auch in der Essensbeschaffung talentiert!

 

Wenn man die Übergaben Zeiten kannte, war von dem Essenwagen, die nicht, wie heute fertige Portionen enthielten, sondern wie Büffetwagen da standen, leicht zusätzlich etwas zu organisieren. Der kleine Teufel, mit der Unschuldsmine, heckte immer was aus. Das Essen reichte dann, bis meine Eltern etwas zum Kaffee am Mittag mitbrachten.